Fragmente aus dem Hinterhof: I – An Beckmann

Hallo Beckmann. Es gibt dich also noch! Ich habe dich gesehen gestern Abend. Kurz vor sieben standest du schon vor der Tür, draußen im kalten Wind. Hast du also Hamburg verlassen. Dort gab es ohnehin nichts mehr, was dich dort hätte halten können. Als ich die Tür öffnete, kamst du mit kleinen hinkenden Schritten die Treppe hinauf. Ich stand oben und sah dich langsam nach oben steigen. Einen alten, grauen, hinkenden Mann. Das Treppensteigen scheint dir schwer zu fallen. Qäult dich die alte Verletzung noch immer? Hat sie je aufgehört zu schmerzen? Du wirktest so verloren dort auf der Treppe. Ein kleiner Mann und solch eine breite Treppe. Ich trat einen Schritt zur Seite, damit du dich bis zum Treppenabsatz am Geländer stützen konntest. Oben, neben mir, hobst du schwach die Hand, ohne mich anzusehen. Drehtest dich um und stiegst die Stufen ins nächste Stockwerk hoch. Ich kannte dich nicht. Deinen Namen nanntest du nicht. Ich konnte ihn nicht ins Protokoll eintragen. Normalerweise hätte ich dich danach fragen müssen. Andere, die hierher kommen, sehen mich an und erkennen einen Neuen, Fremden. Dann nennen sie ihren Namen und ihr Geburtsdatum von selbst. Du aber hobst nicht einmal den Blick. Als kämst du schon seit Jahren, so als wäre das dein Haus, stiegst du die Stufen empor, hinauf zu deinem Zimmer mit dem Etagenbett, in der alten Küche, die blinde Armaturen aus den grauen Fließen streckt, neben den stinkenden Toiletten. Das Zimmer gehört dir allein, nicht wahr Beckmann? Keiner stört dich dort. Und wenn das Haus an einem besonders frostigen Abend mehr als gefüllt ist, kommt keiner zu dir ins Zimmer, um sich in das freie Bett zu legen. Sie liegen lieber auf dem schmutzigen Fußboden in einem der überfüllten, stickenden Zimmer als dich in deinem kalten Zimmer zu stören. Schämen sie sich? Ich habe dich nie mit ihnen sprechen sehen, Beckmann. Ich habe dich nie sprechen hören. Meiden sie dich Beckmann, weil sie deine Geschichte kennen? Aber wer gibt hier schon was auf Geschichte. Jeder schleppt seine eigene mit sich herum und alle hatten kein Happy-End. Meiden sie dich, weil du der letzte bist? Der allerletzte von denen, die nach Hause kamen und nichts mehr wiederfanden, nicht mal eine Chance? Meiden sie dich deshalb, Beckmann, weil sie ein schlechtes Gewissen haben, wenn sie dich sehen? Weil sie mindestens eine Chance hatten und nichts daraus machen konnten? Weil sie um eine Chance reicher waren, als du? Fürchten sie sich vor sich selbst, wenn sie dich sehen? Sehen sie ihre Fehler, ihre Verbrechen, ihre vertane Chance, die sie in der Hitze haben verdorren, im Regen haben ersaufen lassen? Die sie im Zorn ausgerissen, vor Wut zu Boden geschmettert haben? Ist es so, Beckmann? Sprichst du nicht mit ihnen, weil du sie wegen ihrer vertanen Chance verachtest? Oder sprichst du nicht mehr, weil du ohnehin keine Antworten mehr bekommst? Und, mittlerweile, nach so vielen Jahren auch keine mehr brauchst, weil du sie alle gehört hast, sie dir selbst so oft vorgesagt hast, während all der langen Spaziergänge, beim Taubenfüttern, während der ewig langen Stunden auf den immerselben Parkbänken in den immergrünen Parks und den Fußgängerzonen der Städte, die sich im Laufe der Jahre immer ähnlicher wurden? Keiner da, der mit dir spricht. Sogar der andere ist verstummt. Wozu noch reden. Ich sehe dich auf dem Amt in einem Zimmer sitzen, versunken in den viel zu großen Mantel, eingeschüchtert von der fetten Wärme der Heizung, gelangweilt von den Zimmerpflanzen, den gutgemeinten Sermon der drallen Dame in den bunten Kleidern stumm über dich ergehen lassend. Du hast schon schlimmeres erlebt. Nach einer halben Stunden lässt sie dich gehen. Schau doch die Dame wenigsten einmal an, Beckmann. Vielleicht würde dich das zum … Aber nein, ich glaube, du lachst nicht mehr, Beckmann, wozu auch.
Morgens gegen sieben gehe ich durchs Haus und wecke die Männer. Viele sind schon wach. Du bist schon gegangen. Lange vor den anderen. Kannst du noch immer keinen Schlaf finden Beckmann? Nach so vielen Jahren schreckt dich dein Traum noch immer auf? Gehst aus dem Haus, um den Einbeinigen nicht zu begegnen. Jagen dich die elf, angeführt vom zwölften? Heute morgen aber stand ich früher auf, nein, ich schlief nicht einmal. Dein sauberes kaltes Zimmer liegt über meinem. Im Dunklen lag ich auf dem Klappbett und horchte nach oben. Als ich dich gehen hörte, stand ich auf, trat vor mein Zimmer, sah auf die Uhr. Es war gegen Fünf. Wartete vor meinem Zimmer auf dich, Beckmann. Langsam stiegst du die Treppen herunter und kamst ein paar Meter direkt auf mich zu gelaufen, Beckmann. Ich wollte dich nicht ansprechen, nur sehen, wann du gehst. Vielleicht warst du überrascht, als du mich bemerktest. Wo ich stand, sollte keiner stehen um diese Zeit. Für einen Moment konnte ich in deine Augen sehen, Beckmann. In ihnen sah ich ganz weit hinten Freude, Stolz und Glück glimmen. Glücklich, stolz und froh hättest du in einem anderen Leben deinen Sohn und später deine Enkeln ansehen können. Leicht hob sich deine Hand, dann stiegst du hinab zur Tür, hinaus in den dunklen Morgen. War es ein Gruß, Beckmann?
Lange habe ich mich gefragt,Beckmannn, warum du immer so früh das Haus verlässt? Vielleicht brauchst du den dunklen Morgen, damit dir die Laternen eine Richtung zeigen.

Gedicht

In einem Wald aus karger Seide
scheppert leise mein Gedicht
auf seinem Weg zu dir.

Knietief im grauen Moos
steckt frierend mein Gedicht
tastest ängstlich über dickes Eis

Stolpert endlich über steile Stufen
hinauf zu dir ins tiefe Blau
und singt sich atemlos als
schwaches Flüstern ….
in deine kleine Hand

Neue Lichter

Neue Lichter

Jeden neuen Winter
blüht dein Licht im kalten
Garten unter kargen
Bäumen alter Tage,
Sengt das dunkle Laub und
taucht die braunen Hecken in
ein sanftes klares Licht.

Frost und Kälte knien
nieder vor der Macht der
kleinen Flamme,
legen willig ihre Tränen
auf den flackernden Altar.

Jon Krakauer – In die Wildnis / Eddie Vedder – Into The Wild

Manchmal offenbart das Leben Zufälle, die beim zweiten Hinsehen gar kein Zufall sein können, Schicksal vielleicht, aber kein Zufall. Oder gibt es da vielleicht gar keinen Unterschied? Egal, sollen sich doch andere über das Warum Gedanken machen. Ich habe vor einigen Tagen zufällig entdeckt, dass Eddie Vedder, der Sänger von Pearl Jam, sein Soloalbum „Into The Wild“ veröffentlicht hat – gesehen und gekauft. Der Soundtrack zum gleichnamigen Film, was ich spontan vernachlässige und mir auch ziemlich egal ist. Nach dem ersten Hören gefallen mir ausnahmslos alle Titel – leider nur elf an der Zahl, bei einer Spielzeit von knapp mehr als 30 Minuten – ausgesprochen gut. Diesmal nicht nur gefühlt, sondern tatsächlich viel zu kurz. Nachdem ich das letzte Buch von Jon Krakauer „In eisige Höhen“ beiseite legte, wollte ich direkt mehr. Beim Stöbern im Buchladen finde ich sein Buch „In die Wildnis“ und blättere darin. Sofort fesselt mich die Geschichte um Chris McCandless. Im Moment als ich zur Kasse gehen will, sehe ich einen Stapel Bücher vor mir, mit einem Cover, dass mir doch sehr bekannt vorkommt. Der gleiche grün-weiße Bus mit der markanten, verwitterten Nummer 142 auf der Seite. Darauf sitzend der gleiche Typ, den ich auf dem Cover der CD, die ich vor kurzem gekauft habe, für Eddie Vedder hielt. Fast schon peinlich berührt schaue ich mich um, aus Angst jemand lacht mich bei dieser Offensichtlichkeit aus. „Into The Wild“ – „In die Wildnis“ – da hätte man auch gleich drauf kommen können. Die gestapelten Bücher sind die Neuauflage der gleichen Geschichte, die nun von Sean Penn verfilmt wurde, dessen Soundtrack mich unwissentlich die letzten Tage begleitete. Die nächsten Stunden verbringe ich damit, die beiden zusammenzuführen. Ich starte die Reise.

Chris McCandless ist Anfang 20 als er beginnt das Leben zu leben, das schon immer in ihm schwelt und mit aller Macht die Zügel in die Hand nehmen möchte, und nicht mehr jenes, welches von ihm erwartet wird. Aufgewachsen in überaus soliden Verhältnissen, überdurchschnittlich begabt was schulische und sonstige vermeintlich erstrebenswerte Leistungen angeht, sucht er schon früh nach Alternativen, um aus diesem für ihn beklemmenden und einschränkenden Umfeld von Zeit zu Zeit auszubrechen. Zwar spielt er seine Rolle, kommt aber immer weniger umhin, sein wahres Ich zu verbergen. So beginnt er immer häufiger damit, jede sich ihm bietende Möglichkeit zu nutzen, um auf Reisen zu gehen. Nach seinem Universitätsabschluss kann er sein lange gehegtes Ziel endlich verwirklichen. Er bricht alle Kontakte, allen voran den zu seinen Eltern, ab, verschenkt und lässt zurück, was ihn bindet und beginnt seine Erfüllung zu leben. Auf seiner zweijährigen Reise durch den Westen der USA hinterlässt er deutliche Spuren, die Krakauer durch seine Fotos, Tagebucheinträge, die er vornehmlich in Büchern als Randnotizen verfasst und zahllosen, aber nie belanglosen Bekanntschaften, nachzeichnen kann. Der Autor schafft es wieder, wie schon in „Eisige Höhen“, eine Geschichte, deren grober Verlauf und vor allem deren Ende schon hinlängliche bekannt scheint, so zu erzählen, dass es den Leser mitreißt. Es scheint nicht wichtig zu wissen, wie es endet, wichtig ist nur, das Erzählte von Anfang an mitzuerleben. Dabei zu sein. Wie McCandless es schafft durch sein Wesen, seine Taten, seine Worte, Menschen zum Nachdenken zu bringen, ihr Leben in Frage zu stellen, Dinge zu ändern, die als selbstverständlich angesehen werden, einfach nur, weil sie schon immer so waren. Das ist das faszinierende an der partiellen Biografie in diesem Buch. Man muss ihn nicht romantisieren, diesen Menschen, der sich am Ende fast völlig unwissend der gnadenlosen Natur des „wilden Alaskas“ stellt, nur um den Tod zu finden. Denn die Frage stellt sich beim Lesen ständig: ist er einfach nur ein durchgeknallter Junge, der sich über- und den Rest der Welt unterschätzt, oder ein Suchender, der etwas findet, was er nicht suchte? Darum geht es aber nicht. Viel wichtiger als die Tatsache, dass McCandless wahrscheinlich in der Tat viel zu blauäugig in die Wildnis Alaskas zog ist doch, dass er seiner Bestimmung folgte. Er tat das, was er für richtig hielt, was ihn trieb, was für ihn das Leben bedeutete. Den Tod auf diese Weise zu finden, befinden viele als dumm und am Ende auch als gerechtfertigt – gar als logischen Schluss – dennoch glaube ich, dass hier nicht das Ende wichtig ist, sondern der Weg, den er beschritt. Bei der Kritik, die dabei immer wieder auftaucht, vergessen diejenigen, die ihn für sein Ende belächeln, dass sein Ziel nicht das Überleben in der Wildnis war. Sein Ziel war das Leben in seiner ursprünglichsten Freiheit, nur geschmälert durch Zwänge, die rein körperlicher Natur sind: Nahrung und Schlafen. Auf seiner Reise, die ihn durch fast alle Staaten der Westküste der USA bis nach Mexiko führen, finanziert durch Gelegenheitsjobs und Bettelei reduziert er sich auf sein Selbst. Er lebt das Leben eines Aussteigers bis aufs Äußerste, scheut keine Gefahren und schafft es dennoch, Menschen zu begeistern. Eigentlich könnte man meinen, dass ein Charakter mit dieser nicht zu verleugnenden misanthropen Haltung die Einsamkeit sucht, um den Menschen zu entfliehen. Vielmehr glaube ich allerdings, dass er zu sich selbst finden musste, um anderen Menschen zu begegnen. Durch Krakauers Recherchen wird deutlich, dass er das in seinen Anfängen auch schaffte.

Als McCandless sein Ziel – Alaska – im April 1992 erreicht, begibt er sich auf den „Stampede Trail“ im Denali-Natinoalpark. Nach einigen Tagen erreicht er einen verlassenen Autobus. Dieser diente in der Zeit der bald aufgegebenen Erschließung des Gebiets als Unterkunft für die Arbeiter. Auch er nutzt ihn als Basiscamp für seine, ab nun rund 110 Tage – der genaue Zeitpunkt seines Todes ist nicht mehr rekonstruierbar – dauernde Expedition bis zu seinem Ende. Er ernährt sich ab jetzt nur noch von dem, was die Natur ihm anbietet und nennt sich von nun an Alex Supertramp. Seine einzigen Begleiter sind die Moskitos und die Literatur von Thoreau, London, Tolstoi und Pasternak. Trotz mangelnder Erfahrung und Ausrüstung hält er sich wacker. Die genauen Umstände, die letzten Endes zu seinem Tode führen, sind bis heute nicht geklärt. Er wird krank und verhungert.

Georg Kreisler – Gibt es gar nicht

Zugegeben: Diese Biographie über Georg Kreisler ist eine Liebhaber-Geschichte. Wer die bitterbösen Lieder des Wiener Chansoniers kennt und schätzt, wird sie sich früher oder später zur Brust nehmen. Trotzdem ist es kein Fehler, ihr eine Blogg-Besprechung zu würdigen, da es sich bei dem Herrn mit der schweren schwarzen Hornbrille (s. Bild) um eine faszinierende Persönlichkeit mit einer interessanten Künstler-Vita in einer spannenden Wirkungszeit, die der 40er und 50er Jahre, handelt. – Zunächst zur Person und seinem musikalischen Oeuvre: Kreisler wird 1922 in Wien geboren. Kindheit und frühe Jugend sind unglücklich. Der Vater ist zu streng und beharrt auf einem Brotberuf für seinen Sohnemann. Dazu ist er noch Jude. Mit der Familie flieht er nach der Annektion Österreichs durch das Dritte Reich in die USA, wo er seine musikalische Laufbahn am Konzertflügel aufnimmt und in typischen Humphrey Bogart-Bars und Kaschemmen spielt. Er wird eingezogen in die US-Army und zieht aus in den Krieg. 1955 kehrt er nach zahlreichen Misserfolgen nach Wien zurück und kommt als Kabarettist in der ausgehenden 50ern und in den 60er Jahren zu Ruhm. Kreisler schreibt „schwarze“ Chasons und hat für alles Etablierte und Bornierte, Heuchlerische und Angepasste ein böses poetisches Wort, eine verbale Ohrfeige übrig. Heute lebt Kreisler fünfundachzigjährig nach drei verschlissenen Ehen, von der Welt vergessen, in der Nähe von Salzburg. Er schreibt Opern, mehr zur eigenen Erfüllung als zur Aufführung. – Die Autoren des Buches, Hans-Jürgen Fink und Michael Seufert, führen den Betrachter zu den wichtigen Stationen in Kreislers Leben und das vor allem in Gestalt gut und amüsant geschriebener Anekdoten. In diesen ganzen kleinen Geschichten, die in den Zeit der großen Umwälzungen und an den faszinierendsten Settings wie Hollywood, L.A., Berlin und Wien im Nachkriegsdeutschland spielen, erscheint der kauzige Kreisler als rebellischer Anarcho-Musiker, der seine Lieder schreibt, mal mehr, mal weniger fürs Publikum. Und bevor man sich versieht erlebt der Leser die ganz große Weltgeschichte im Kleinen. Einige Stories seien mal erwähnt: Die Biographie beginnt beispielsweise mit dem Familienbetrieb in Wien, in dem das Fußpuder „Teddy“ hergestellt wird. Hier begegnet man kurz einem arbeitslosen Künstler und Graphiker mit einem lächerlichen Schnauzbärtchen, der gelegentlich Aufträge für Werbetafeln gegen Schweißfüße in den Strassenbahnen zeichnet. Nach der Annektion taucht bei der jüdischen Familie Kreisler/Hochberg die Gestapo auf und verlangt alle Skizzen des frischgebackenen Reichskanzlers und ehemaligen Werbedesigners Hitler zurück. In seiner Zeit als GI wird wird Kreisler mit Henry Kissinger zum Verhörspezialisten ausgebildet, über den Kreisler kein einziges gutes Wort verliert. Nach dem Krieg leitet Kreisler die Vernehmungen von Nazi-Exgrößen wie Streicher (Chef des Völkischen Beobachters) in Nürnberg. Dieser erinnert sich lediglich und sehr beharrlich daran ein vertrottelter Volksschullehrer zu sein (was ja so unrichtig nicht ist). Auch Göhring gehört zu seinen Schäfchen. Göhring will Kreisler zum persönlichen Mitstreiter gegen den Russen machen und kreuzt dann zum letzten Gespräch dann doch nicht mehr auf. Zurück in den Staaten tingelt Kreisler mit seinen schwarz-humorigen Shows durch die Kneipen in L.A. und macht sich bei dem amerikanischen Kleinbürgertum der 50er Jahre eher unbeliebt durch seine Lieder „My psychoanalyst is an idiot“, „Please shoot your husband“. Und wie immer in Hollywood kommt dann auch zum Film. Er schreibt Filmmusik für Charley Chaplin, spielt selbst in kleinen Nebenrollen in Filmen mit. Der große Durchbruch erfolgt dann jedoch in Wien. Das Lied „Taubenvergiften“ gehört zwar zu seinen größten und wohl bekanntesten Hits. Er selbst hasst es wie die Pest. Die Größe liegt in den unauffälligeren Liedern, in denen er oft virtuos klassische Musikstücke zitiert („Die Triangel“). In den 68ern schlägt er sich auf die Seite der Studentenbewegung und singt das Lied von der durchbrochenen „Bannmeile“ und „Wer schützt die Polizei“. Ungeachtet der Publikumswünsche wendet er sich dann Dadaistischer Wortspielereien zu („Max auf der Rax“) und macht seit den achziger Jahren konsequent sein eigenes Ding. – Wie angedeutet, zuletzt hörte man von Kreisler, dass er an einer ganzen Opernserie schreibt… und das nur für die Schublade. Kreisler gibt keine Interviews (außer für Freunde wie Fink und Seufert), verweigert jegliche Preise, die man ihm für sein Lebenswerk andrehen will. Österreich, das ihn wieder als Bürger und Ehrenbürger haben will, wirbt heute täglich um ihn. Kreisler schickt jegliche Post zurück und besteht am Telefon für alle, die ihn nun totloben wollen, darauf: „Kreisler gibt es gar nicht!“ – Kreislers Lieder sind historische Aufnahmen. Als solche muss man sie als solche hören. Und vor allem, um ein Gefühl und vielleicht eine Begeisterung entwickeln zu können, muss man die Lieder live hören. Kreisler tritt ja selber nicht mehr auf und auf CD ist die Magie und Kraft oft nicht mehr spürbar. Am 12. Dezember gibt es allerdings in der Durlacher Orgelfabrik einen Kreislerabend, an dem Konstantin Schmidt am Flügel einen Auszug aus dem Kreislerschen Werk präsentiert. Dazu ist zu raten, auch wenn Schmidt ein dummer Lackaffe ist (wie ich neulich im Gespräch bemerken durfte). – Schlussendlich: Nette Biographie (keine Weltliteratur!) zu sehr guten Chasons eines zynischen Querulanten.
P.S.:
Ebenfalls hörenswert: Kreislerplatte von der Punk-Band „Die Kassierer“
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