Kleines Jubiläum

50 Einträge hat dieses kleine Blog zu verzeichnen. Und gerade dieser 50. Post ist nicht nur ein gutes Beispiel für die Qualität der einzelnen Beiträge, sondern auch und vor allem ein Beweis für die Leidenschaft, mit denen die Autoren sich ihren Texten widmen. In allen Posts ist keine sakrale Unterwürfigkeit der Kunst gegenüber zu spüren, die sich auf erstarrtes Anbeten beschränkt. Vielmehr zeigen alle Beträge einen kritischen Geist, in dem sich ästhetisches Empfinden mit dem Willen zur Kritik verbinden. In diesem Sinne nehmen die Autoren die Herausforderung der Kunst an, sich mit ihr auseinander setzen zu müssen. Ohne eine solche Kritik degeneriert Kunst zu etwas, das man aus Prestigegründen an die leere Wand hängt, ins Regal stellt… .
Die Faszination eines jeden Kunstwerkes kann nur voll empfinden, wer im Genuß Kritik übt.
Und deshalb rufe ich den Autoren an dieser Stelle zu: „Weiter so, Männer!“

Selim Özdogan – Die Tochter des Schmieds

Selim Özdogan erzählt die Lebensgeschichte von Gül, der Tochter des Schmieds Timur. Er erzählt ihr Leben in der Türkei der 40iger bis zu Güls Auswanderung nach Deutschland, irgendwann Ende der 60iger Jahre. Beginnend mit Güls Mutter, der schönen Fatma, bewegt sich die Geschichte stets im kleinstädtischen oder dörflichen Milieu. Das Leben der Menschen dort ist einfach, folgt klaren Regeln, die von der Tradition, der Religion und der Familie vorgegeben werden. Mitunter entsteht ein idyllischer Eindruck, der hin und wieder durch gezielte Schläge des Schicksals nur noch vermehrt wird. Das Buch lebt hauptsächlich von der einfachen aber schönen Sprache, die sich gelegentlich derb aber auch poetisch geben kann. Insofern scheint mir hier die einfache Sprache der Menschen gut getroffen zu sein, unabhängig von der Muttersprache, die man sprechen gewohnt ist. Es ist eine große Kunst, das Wesen der Menschen in der Sprache, ja mittels der Sprache vorstellbar, erfahrbar zu machen. Dies gelingt dem Autor in diesem kleinen Roman an jeder Stelle, egal, ob man die Männer fluchen, die Mädchen singen oder die Ehepaare schweigen hört. Vielleicht sind die Personen, vor allem die drei Schwestern Gül, Melike und Sibel etwas zu künstlich gezeichnet, denn so schön es ist, die drei unterschiedlichen Charaktere miteinander aufwachsen zu sehen, so auffallend unwirklich kommt mir die charakterliche Symmetrie der Schwestern vor. Gül, die älteste, ist brav, still, duldend, während ihre kleinere Schwester Melike ein Wirbelwind ist, die trotzig immer ihren Kopf durchzusetzen weiß, sich nichts gefallen lässt. Sibel ist die jüngste der drei und steht zwischen den beiden. Von Melike hat sie den manchmal überzogenen Gerechtigkeitssinn, von Gül das Duldende, Brave.
Zwischen Einfachheit der Menschen und ihrer Schicksale und der bezaubernden Einfachheit der Sprache läuft der Roman nie Gefahr, platt zu werden. Sicherlich sind die Ereignisse alles andere als dramatisch oder gar tragisch. Gül erlebt, was jedes Kind erleben muss: ungerechte Behandlung, Zurückweisung, Scham, Schuld, Einsamkeit, aber auch Glück, Geborgenheit, Freundschaft. Aber gerade diese unprätentiöse Schlichtheit macht den Reiz des Romans aus, die ihre Höhepunkte in den frühen Kapiteln findet, in denen der poetische, ja fast märchenhafte Schimmer der Geschichte am stärksten und wirkungsvollsten ist. Die Kindheit ist ein mythisches Reich von der Welt der Erwachsenen aus gesehen, im Guten wie im Schlechten. Im letzten Abschnitt spricht Gül für einen Moment selbst. Bevor sie diese Welt verlässt, erklärt sie eindringlich, dass auch ihr einfaches Leben einen tiefen Sinn hatte. Gül ist in diesem Punkt zu beneiden, denn sie hat diesen Sinn gefunden.

Thomas Karlauf – Stefan George. Die Entdeckung des Charisma

Das ist es also. Vor einigen Jahren schon nahm ich mir vor, eines Tages eine Biographie Georges zu schreiben. Eine, die jenseits des hagiographischen Schrifttums der George-Jünger aber auch abseits der negativen Blickwinkel ihren Platz finden und George den ihm gebührenden in der deutsch-europäischen Literaturgeschichte zuweisen sollte. Mit dem Erscheinen von Karlaufs Biographie sehe ich mich dieser Aufgabe weitgehend enthoben. Als ich zum ersten Mal bewusst mit George in Berührung kam, führte keiner der großen Taschenbuchverlage eine Ausgabe seiner Werke im Programm. Das hat sich mittlerweile geändert. Es schien, als habe man George vergessen. In die Welt zwischen 68 und Mauerfall schien diese Gestalt und vor allem sein Werk nicht zu passen. Und ehrlich gesagt, bin ich mir ziemlich sicher, dass es auch in unsere heutige Zeit nicht passt. Aber das muss auch nicht sein. Mehr noch als sein Werk, das dem Leser einiges abverlangt und das weit ab von den bunten Brackwasserlachen eines Erich Fried und Konsorten liegt, musste gerade den 68ern die Person verdächtig erscheinen. Oft, und auch nicht zu Unrecht, wurde George zum Vorwurf gemacht, dass seine Vorstellungen eines „Geheimen Deutschland“ die Ideologie des Nationalsozialismus bereichert und gestützt haben. Von einem neuen „Reich“ ist in seinem Werk die Rede, von einem mit quasi göttlicher Legitimation ausgestatteten „Führer“, von Opfertod und Unterordnung, vom Untergang des Alten und der Erschaffung eines Neuen aus dem Geist der Kunst. George starb Ende 1933, Avancen des neuen Staates, wie den Vorsitz einer neuen Akademie der Schönen Künste lehnte er ab, vom Politischen hatte er nie viel gehalten, ja ein Grundzug seines Denkens ist gerade die radikale Trennung des Politischen von der Kunst. Und doch kann man ihm einen mehr oder weniger latenten Antisemitismus vorwerfen, wie vielen seiner Zeitgenossen übrigens auch. Andererseits fühlten sich gerade viele deutsche Juden zu seinem Kreis angezogen, was diesen wiederum in rechten Kreisen verdächtig gemacht hat. Zu seinem Kreis gehörten begeisterte Anhänger der Nationalsozialisten und entschiedene Gegner wie Boehringer, grandiose Gelehrte wie Gundolf, Kommerell und Kantorowicz und krude Spinner wie Alfred Schuler. Kein Wunder, dass George mit Vorsicht zu genießen ist. Ohne Probleme kann man ihn einen Apologeten Hitlers nennen, einen unpolitschen, weltabgewandten, um die Folgen seiner Gedanken fahrlässig unbekümmerten, ja ignoranten Poeten, einen Päderasten, einen bedeutenden Pädagogen im Sinne einer ästhetischen Welterfahrung, einen Förderer der Kunst und einen egomanischen Homosexuellen mit einem ins Gegenteil gesteigerten Minderwertigkeitskomplex, der zur Befriedung seiner sexuellen Begierden wie seiner charakterlichen Defizite einen bestimmten Schlag von Männern um sich scharte und einige von ihnen in den Suizid trieb.
Schmal ist der Grad, auf dem sich der Biograph bewegt und tief der Abgrund über dem er steht, wenn er sich zu einem Georgebuch entschließt. Die Aufgabe wird durch den Umstand erschwert, dass jede Veröffentlichung zu George dem potentiellen Verdacht ausgesetzt ist, in den Kreis der sich im Castrum Peregrini versammelnden Verehrer Georges gezogen zu werden, die bis heute eine mehr oder minder starke, aber auf jeden seltsam anmutende, quasi-religiöse Verehrung George üben, die spätestens an der Schwelle eines neuen Jahrtausends jedem als gefährlich erscheinen muss, der auch nur flüchtig auf der 20. Jahrhundert zurückblickt.
Gäbe es nicht einen Namen, ein Mitglied jener „geheimnisvollen“ männderbündischen Sekte, einen Namen, den man in Deutschland jeden Tag mit „Edding an die Wände“ werfen sollte, würde man George längst nicht nur literarisch beerdigt haben, sondern auch sein Werk dem völkischen Dreck zugeschlagen und George aus dem kollektiven Gedächtnis der Bundesrepublik getilgt haben: Claus Schenk Graf von Stauffenberg.
Als rettender Strohhalm des kollektiven Gewissens der Deutschen sollte ihm und seinen Mitstreitern stets Hochachtung entgegen gebracht, auch wenn er beileibe kein überzeugter Demokrat war, zu dem er von der bundesrepublikanischen Mythogenese manchmal gemacht wird.
Macht man sich all dies klar, so sieht man, wie groß und wie gefahrvoll die Aufgabe Karlaufs gewesen ist und man kommt nicht umhin, ihm Respekt zu zollen. Er schafft es, obwohl, oder besser trotz seiner Verbundenheit mit dem Castrum Peregrini, eine gut abgewogene Biographie zu schreiben. Manchmal geht er für meinen Geschmack mit seinem Wunsch nach Neutralität ein bisschen zu weit, was angesichts des Themas aber wohl kein Fehler ist. Es gelingt ihm gut, das Geheimnis jenes Männerbundes zu entmystifizieren. der unter dem Namen „George-Kreis“, zumindest in der Literaturwissenschaft zweifelhafte Berühmtheit erlangt hat. Letztlich reduziere sich das Geheimnis des Kreises auf das Sexuelle. Das klingt plausibel, ist doch nachweisbar, dass einige aus dem Kreis selbst das Geheimnis nicht kannten, oder was sie sahen, nicht verstanden. Zwar wird das Leben im Kreis detailliert geschildert und damit auch die bisweilen dramatischen persönlichen Folgen für die „Jünger“ nicht unterschlagen, aber die Perspektive geht in diesem Punkt wohl etwas zu sehr von der zentralen Gestalt des Meisters George aus. Den negativen psycho-sozialen Folgen für die oftmals noch recht jungen Männer innerhalb des Kreises wird der Autor nicht immer gerecht.
Dieser Weg der Entmystifizierung mag einigen vielleicht nicht gefallen, weil er zeigt, dass Mythen oft nur solange funktionieren, wie jemand an sie glaubt. Interessant an George ist, dass er sich von seinem eigenen Mythos hat forttragen lassen. Wo ein Geheimnis war, bleibt Illusion, Suggestion und charakterliche Disposition übrig. Zuletzt sollte man angesichts der schillernden Gestalt George und seiner Selbststilisierung nicht seine Gedichte vergessen, die in meinen Augen mit dem besten gehören, die in deutscher Sprache je geschrieben wurden. Und anstatt zum Abschluss einen Vers zu zitieren, gedenke ich stattdessen lieber dem zu früh verstorbenen Wolf-Daniel Hartwich, durch den ich zum ersten Mal in Kontakt mit der grandiosen Lyrik von Stefan George kam.

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