Carlos Ruiz Zafón – Der Schatten den Windes – Anmerkungen

Homberle hat ja bereits einen schönen Artikel zu diesem Buch geschrieben, dem ich mich in weiten Teilen auch anschließe. Immerhin kann ich mich aus diesem Grund auf ein paar Dinge beschränken, die mir während der Lektüre aufgefallen sind.
Interessant ist auf alle Fälle die Story. Drei Ebenen sind auszumachen. Die Handlung um den jungen Daniel Sempere, die Lebensgeschichte von Julian Carax, der Inhalt von Carax Roman „Der Schatten des Windes“ sowie die Geschichte des Buches, das man Händen hält und das eigentlich „die Nebelburg“ heißen müsste. Diese Ebenen sind, wie von Homberle angedeutet, mit einander und ineinander verschlungen. So entstehen Analogien aber auch Irrwege, was den Roman zu einer sehr anregenden Sache macht. Im Grunde ist dieses Buch auf der ersten Ebene eine Art Adoleszenzroman: Daniels Entwicklung vom Kind zum Mann, er erlebt alle wichtigen Stationen des Erwachsenwerdens, freilich in etwas extremerer Form als andere und findet, leider etwas zu einfach, am Ende seinen Platz im Kreise seiner kleinen Familie. Auf der zweiten Ebene ist das Buch ein Bildungsroman, indem Zafòn der Geschichte Daniels diejenige von Julian Carax unterlegt. Leider, möchte man sagen, findet auch Carax zu seinem inneren Frieden am Ende eines wechselhaften Schicksals, das von Liebe und Hass geprägt ist, ja er findet sogar seine Sprache wieder, schreibt schließlich den Roman, den der Leser in Händen hält. Nicht die Vermischung der Ebenen, die die Ebene des Inhalts am Ende sogar überspringen kann, sondern gerade das mehr als schale Ende, das nur Freunde von massentauglichen Hollywoodfilmen schön finden werden, zerstört viel dem eigentlichen Reiz des Romans und wirft überdies noch ein moralisches Problem auf.
Carax tötet in einem sehr lange hinausgezögerten Showdown Fumero, was keine große Überrraschung ist und aus Sicht des Lesers auch in Ordnung geht, ist Fumero doch ein widerlicher Sadist und Verbrecher. Außerdem aber bringt Carax den Chef seiner „zweiten“ Frau Nurieta Monfort um, der sicherlich kein netter Kerl ist, hat er doch die junge Frau mehr als belästigt. Dieser Mord wird nicht gerechtfertigt und um Carax‘ Hass darzustellen ist dieses inhaltliche Detail viel zu stark und verlangt, wenn schon nicht eine Rechtfertigung so doch zumindest Sühne. Aber auch diese fehlt, ja im Grunde wird diese Untat damit gutgeheißen, dass es Carax am Ende doch gelingt seinen Frieden zu finden und zur Schriftstellerei zurückzukehren. So bleibt dieser Mord als moralisches Problem bestehen, das man höchstens damit erklären kann, dass vor dem Hintergrund des spanischen Bürgerkrieges ohnehin die Grenzen zwischen Gut und Böse verschwimmen. Jeder ist verdächtig, jeder hat Geheimnisse, die besser ungesagt bleiben. Einzig Fumero ist in dieser Hinsicht deutlich gezeichnet.
Die Zeit des spanischen Bürgerkriegs sollte den historischen Rahmen des Romans abgeben, aber Zafòn lässt der Beschreibung dieser Umstände zu viel Raum. Sie drängt sich zwischenzeitlich zu sehr in den Vordergrund, um noch als Nebenhandlung oder historisches Kolorit gelten zu können und rüttelt auf diese Weise sehr an der dramaturgischen Integrität des ganzen Romans.
Vielleicht noch ein Wort zu den Personen. Nicht immer gelingt es Zafón seine Figuren plausibel handeln zu lassen. Der zehnjährige Daniel des Beginns spricht nicht wie ein Kind, sondern wie ein vom Leben gezeichneter Held eines amerikanischen Films. Leider zieht sich dieses Problem durch das ganze Buch. Als Beispiel sei nur das erste Gespräch zwischen Fumero und Daniel erwähnt. Obwohl Zafón seinen Protagonisten seine Angst eingestehen lässt, spricht Daniel cool und mit kaum versteckten Zynismus zu Fumero, der wirklich ein abgebrühtes Arschloch ist.
Die Frauenfiguren lassen sich grob in zwei Gruppen einteilen. Alle Frauen, zu denen sich Daniel oder Carax hingezogen fühlen, sind engelgleiche Gestalten, irgendwo zwischen Femme fatale und Heiliger Jungfrau einzuordnen. Alle anderen sind brave, einfache Frauen, die sich mit ihrer Rolle als Mutter und Versorger zufriedengeben müssen. Ein bisschen mehr Variation hätte dem Roman gut getan. Mein Lieblingsfigur ist Fermin, der aber doch ein bisschen zu sehr schillert. Ein Charakter von mephistophelischem Witz gepaart mit der Gerissenheit eines James Bond und der Libido eines Don Juan.
Viel zu kurz aber kommt mir leider der „Friedhof der vergessenen Bücher“. Dieses geheimnisvolle Institut hat soviel erzählerisches wie dramaturgisches Potential, dass es traurig ist, mit anzusehen, wie dieser Ort lediglich als Hintergrund der Handlung dient.
Immerhin passt es zum mehr oder weniger literarischen Thema des Buches, dass der Autor es sich nicht nehmen lässt, an zahlreichen Stellen auf andere Autoren der europäischen Literaturgeschichte (wie zum Beispiel Flaubert, Josesph Conrad, Kafka und Brecht) mit leisem Wink hinzudeuten.
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