Der gemütliche Bereich des Kleinbürgers ist der Versuch, das Unvorhersehbare, das Unkalkulierbare, kurz das Chaos, zumindest aus dem privaten Leben zu verbannen. Die Wohnungstür, die Werkstadt vielleicht noch Stadtviertel oder Dorf sind die Bannmeilen, aus denen man das Chaos vertrieben wissen will, innerhalb derer es gesittet, ruhig und vor allem geordnet zugehen soll. Das Leben folgt klaren Regeln, es ist klar geregelt und wenn das ungehorsame Schicksal trotz der Menge an Verbannungsmagie zuschlagen sollte, so kann man sich heutzutage wenigstens gegen die Folgen versichern.

Gemütlich geht’s auch beim Schreinermeister Eder in München zu. Geranien schmücken die Fensterbänke seiner kleinen Werkstadt im Hinterhof. Drinnen ist alles an seinem Platz, wenn auch nicht einer streng rational berufsgenossenschaftlichen Ordnung folgend, sondern ganz gemäß den Gewohnheiten des Meisters eingerichtet. Gemütlichkeit und Ruhe sind die Stichworte, da stören auch die Holzspäne in den Ecken nicht. Wer außer dem Meister könnte sich hier zurechtfinden? Keiner, denn die Werkstatt ist sein intim-privates Biotop, ein Lebensraum, den das einwohnende Wesen selbst nach eigenen Wünschen und Bedürfnissen „eingerichtet“ hat. Im kleinbürgerlichen Kosmos läuft der Prozess der Anpassung umgekehrt ab. Ideal angepasst rollt das Leben so auf seinen gewohnten, breit gewalzten Bahnen gemächlich dahin. Unterbrochen wird die Beschaulichkeit nur von der unvermeidlichen Kundschaft, die Vertrauen in die Arbeit des Meister hat und ihm so sein Auskommen garantiert.

Die Statik der schreinermeisterlichen Existenz beginnt sich in dem Moment aufzulösen, in dem nicht mehr alles an seinem Platz ist. Ein Stemmeisen liegt auf dem Boden, ein Schloss in den Spänen. Nichts ist verschwunden, nur eben nicht da, wo es normalerweise seinen Platz hat. Die erste Reaktion des Meisters ist Ärger. Von einem verhexten Tag ist da die Rede. Als ob der kleinbürgerliche Friede von schwarzer Magie negativ beeinflusst wird. Die Unterbrechung des Alltags als Keimzelle des Aberglauben. Dem Ärger folgt Verwirrung, die Gesetze des Gewohnten lösen sich auf. Der letzte Erklärungsversuch für die Störung der Beschaulichkeit ist die Idee eines Befalls der Werkstadt mit Schädlingen.

Am Leimtopf bleibt Pumuckl schließlich kleben, wird sichtbar und bringt von nun an die bürgerliche Ruhe des Meister Eder ins Wanken. Aus einem vorübergehenden Einbruch des Chaos und der Unruhe wird ein Dauerzustand. Der phlegmatische Schreinermeister muss nun zwischen dem energetischen Impuls der Unordnung und der Statik der bürgerlicher Welt vermitteln und jeden Tag auf’s Neue die beiden Pole ins Gleichgewicht bringen. Der Leimtopf, an dem der Kobold hängen bleibt, ist eine schöne Metapher für die zähflüssige Attraktivität der kleinbürgerlichen Existenz.

Das Wesen des Meers, die ständige Bewegung, ist im Nachfahren von schiffsbewohnenden Klabautermännern stets deutlich zu spüren. Dass Pumuckl nicht in die Welt des Meister Eder passt, merkt man sofort an der Ablehnung spießbürgerlicher Hygienevorschriften, an der der Kobold keinen Zweifel lässt. Haare kämmen ist nicht. Sein Hass auf die Heinzelmännchen, die dem Meister Eder verständlicherweise lieber gewesen wären, spricht in diesem Zusammenhang für sich selbst. Pumuckl verkörpert genau das Gegenteil: Er ist ungehorsam, hat seinen eigenen Willen, ging noch nie einer unter bürgerlichen Gesichtspunkten sinnvollen Beschäftigung nach und hat wildes Haar statt einer kleinen lächerlichen Kappe. Im Vergleich mit einem Heinzelmännchen („die werkeln und trappeln“) wirkt Pumuckl wie ein Outlaw. Böse ist er aber nicht. Er ist ein agent provocateur in eigener Sache, berufen die spießbürgerliche Welt aus ihrem betäubten Schlummer zu reißen. Die kleine Welt des Meister Eder öffnet sich mit einem Schlag. Er muss seinen Kobold kontrollieren. Aber wie etwas kontrollieren, dass unberechenbar ist? Ein Weg ist die Assimilation, die dem Schreinermeister zumindest teilweise zu gelingen scheint. Pumuckl bekommt seine Schiffschaukel, trinkt Bier aus einem Humpen und übernimmt sogar einige Rituale des kleinbürgerlichen savoir vivre wie das Baden.

Aber dafür sorgt er für Unruhe im Umfeld der Schreinerei. Meister Eder wird so vom geachteten Mitglied des Kleinbürgertums ein wenig zum komischen Kauz. Er verlässt seinen warmen Platz vor dem sozialen Ofen und gewinnt dafür den Blick von der Peripherie auf die Konstanten seiner bisherigen Existenz. Er muss, will der verhindern, dass Pumuckls überschäumende Energie den kleinbürgerlichen Kosmos versehentlich nachhaltig schädigt, eine kritische Distanz zu seinem sozialen Umfeld einnehmen, um es bis zu einem gewissen Grad in seinem Sinne so zu gestalten, dass die Balance zwischen Chaos und Ordnung erhalten bleibt.

Pumuckl ist kein Umstürzler, aber ein Aufrüttler, wenn man so will. Er zeigt, wie positive Subversion funkioniert und führt den oft noch jungen Zuschauer bzw. Zuhörer in die Kunst der Subversion ein. Man kann diese Geschichten (in welchem Medium auch immer dargestellt) als eine Propädeutik der Subversion lesen. Die Bedeutung dieser Geschichten liegen in der Tatsache, dass die Gesellschaft Subversion braucht, um einen Prozess der Reflexion anzustoßen und so eine gestalterische Wandlungsfähigkeit aufrecht zu erhalten, ohne die man unmerklich in einen Zustand der sozialer Erstarrung abdriften könnte. Eine solche Erstarrung aber kann als Mittel der Instrumentalisierung der in den erstarrten gesellschaftlichen Kosmen gefangenen Menschen ausgenutzt werden: z. B. das Vorgauklen bestimmter Bedürfnisse im Hinblick auf ihre konsumorientierte Befriedigung, das Erregen von politischen, sozialen und wirtschaftlichen Ängsten zum Zwecke der Rechtfertigung politischer Maßnahmen etc.

In diesem Sinne erfüllt Pumuckl eine für eine lebendige Gesellschaft unter demokratischen Vorzeichen ungemein bedeutende erzieherische Aufgabe. Dass auf diesen Aspekt heute keinen Wert mehr gelegt wird, kann der leicht erkennen, der sich einen Nachmittag Zeit nimmt und sich einmal ansieht, was die Kinder heute vorgesetzt bekommen.

Kategorien: FilmGedanken

0 Kommentare

Kommentar verfassen

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

%d Bloggern gefällt das: