Zu Ecos neuem Roman ist viel geschrieben. Deshalb beschränke ich mich auf ein paar Anmerkungen zu dem Roman. Es macht immer Spaß, einen Eco zu lesen, wenn man historisch interessiert ist. Zwar fehlt dem Roman die unheimliche Anziehungskraft, die das fremde Mittelalter im „Namen der Rose“ ausstrahlte, dennoch sind die historischen Ereignisse um die nationale Einigung Italiens oder die innenpolitischen Wirrungen Frankreichs in der zweiten Hälfte des 19 Jahrhunderts spannend, zumindest für den Historiker. Der Vorteil dabei ist die Authentiztät der Ereignisse, die der Leser historischer Romane meistens entbehrt, da sie, wenn überhaupt, nur die Kulisse bilden für ein neumodisches Rührstück wie zum Beispiel Folletts „Säulen der Erde“.

Der Roman erzählt die mutmaßliche Entstehung der Protokolle der Weisen von Zion, jenes antisemitischen Hetzbuches, das eine bedauerliche Karriere im 20. Jahrhundert gemacht hat ( u. a. Hitler führt es in „Mein Kampf“ an). Schon 1921 wurde diese Buch als Fälschung enttarnt, das hat dem Buch aber nichts von seiner Anziehungskraft auf bestimmte Kreise genommen. Der Roman erzählt in etwas gestelzter Form (Persönlichkeitsspaltung des Protagonisten, Tagebuchform + Erzählerkommentar) das fiktive Leben des fiktiven Autoren der Protokolle. Simon Simonini ist eine durchweg böse und niederträchtige Person und Eco gibt sich sichtlich Mühe ihn so schurkisch und rücksichtslos wie nur möglich zu zeichnen. Dennoch entsteht kein Superbösewicht, sondern nur ein kleiner, kranker Gauner, für den man aber keinerlei Sympathie empfindet. Wieso auch. Die Charakterzeichnung von Simonini als Rmpelstilzchen des Antisemitismus ist gelungen. Hier musste Eco vorsichtig sein, denn auf keinen Fall durfte auch nur der Hauch von Sympathie für dieses verkommene Subjekt erregt werden. Bei der Behandlung dieses schwierigen Themas wäre das literarischer Selbstmord gewesen. Eco erreicht sein Ziel, indem er jeden Anflug von Tragik oder Größe bei seinem Helden vermeidet. Man kennt die Schwäche der Menschen für große Bösewichte in der Literatur (Stichwort Darth Vader, Richard III., Lord Voldemort). Allen großen bad guys wohnt eine gewisse Tragik inne, die sie zu dem gemacht hat, was sie wurden. Hierin liegt vielleicht die Quelle unserer ambivalenten Einstellung zu diesen Figuren, die zwischen Abscheu und Faszination schwankt. Man meint hierin eine Tragik zu erkennen, die bis ins antike Drama zurückreicht (auch wenn man vielleicht keine allzu strengen moralischen Qualitäten in den Helden des antiken Dramas suchen sollte). Simonini fehlt jegliche Tragik und jeglich Größe, deshalb empfinden wir keine Sympathie mit ihm.

Neben den historischen Ereignissen zeichnet Eco in der  Person des Protagonisten eine Kulturgeschichte der Paranoia nach, die sich in wild wuchernden Verschwörungstheorien Luft macht. Geheimdienstler, Kirchenleute (Jesuiten), Freimaurer, Juden, Kommunisten usw. trachten den Gegnern nach dem politischen Leben und nehmen Gerüchte und Fantastereien als bare Münze. Alle verbreiten Unwahrheiten über die anderen, und doch glauben alle wiederrum die Schauermärchen, die über den Gegner erzählt werden. Man könnte den Roman auch als Parabel auf den modernen Geheimdienst lesen.  Das Erschreckende ist, dass alle Theorien, wie auch alle Personen, außer Simonini, existiert haben. Somit ist alles wahr, was hier zu lesen ist. Erschreckend ist aber auch, dass Eco sich von seinem Interesse für die Hermeneutik und Semiotik der Verschwörungstheorien hat fortreißen lassen und der Roman zunehmend zu einem Lesebuch des Irrationalismus verkommt, das von einer schwachen erzählerischen Klammer zusammengehalten wird.

 Hoffentlich bleibt diesem Buch das Schicksal erspart, denen als Beleg für Wahrheiten zu dienen, die vernüftige Menschen längst als Lüge erkannt haben.


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