Kafka, Kohlhaas, Windmühlen und Fujitsu-Siemens

Ich weiß, eigentlich gehört das nicht hierher.Aber loswerden muss ich es trotzdem. Seit dem 4.3.08 ärgere ich mich mit einem fehlerhaften Laptop herum, habe reklamiert, das Gerät einmal eingeschickt, ein anderes Mal eingeschickt, die immergleiche Geschichte immer anderen unverbindlich besorgten Callcenter-Mitarbeitern erzählt, ohne dass sich etwas getan hätte. Ein Tipp von homberle half weiter und nach weiteren Emails, Briefen und Anrufen, bequemte der Hersteller sich, das Gerät doch auf Kulanz zurückzunehmen. Als ich das Gerät zum Händler zurückschickte, glaubte ich mich bereits auf der sonnigen Straße des Erfolgs, bis mich eine Mail erreichte, in der man mir mitteilte, dass man mir den Betrag erst vergüte, wenn auch der fehlende Akku eingetroffen sei. Ich habe diesen Akku aber eingepackt… Nach Beteuerungen meinerseits und einigem Herumlavieren auf Seiten des Händlers andererseits, löste sich die Sache am vergangenen Donnerstag in Wohlgefallen auf. Ein Anruf des Händlers teilte mir mit, dass sie eben einen defekten Akku einbauen würden und das Gerät dann zum Hersteller zurückschicken würden. Von mir aus. Heute endlich, ist das Geld, alles bis auf den letzten Cent, wieder zurück auf meinem Konto. Was lange währt…
Die Situation glich einer Szene aus einem Roman Kafkas, dem Prozeß beispielsweise. Man bekommr Ratschläge, ja sogar Anweisungen, die man unbedingt auszuführen hat, um zum Ziel zu kommen. Doch die selben Instanzen weisen alles von sich, geben unklare Erklärungen, machen die Sinnlosigkeit und die Widersinnigkeit ihres eigenen Systems deutlich, ohne es durchbrechen zu können. K. im Prozeß resignierte schließlich, passte sich an, wollte dem Henker selbst das Beil aus der Hand nehmen, um sich in einem letzten Akt des vorauseilenden Gehorsams selbst zu richten.
Neben der Resignation, der ich mehr als einmal sehr nahe war, wäre noch die Auflehnung geblieben. Auflehung gegen einen verlogenen kapitalistischen Apparat, dem der einzelne Konsument nur noch ein notwendiges Problem im Zusammenhang des Produktabsatzes ist – Auflehung gegen eine unpersönliche Instanz, die sich in ihrer Ignoranz und Aroganz dem Endverbraucher in allen Bereichen überlegen fühlt und so sich immer neue Mittel und Wege einfallen lässt, berechtigte Ansprüche abzulehnen oder hinauszuzögern. Aber hätte ich, wie Kohlhaas, das Recht in meine eigenen Hände nehmen und FSC die Bude anzünden sollen? ch fühlte mich im Recht, wenn aber niemand dieses Recht anerkennt? Leider kann ich mir mein Recht eben nicht selbst schaffen, kann die Zentrale von FSC in München nicht mit Brand und Zerstörung überziehen, wie Kohlhaas das getan hat, obwohl mir mehr als einmal dieser oder ähnliche Gedanken kamen. Aber was nachvollziehbar, vielleicht sogar gerecht ist, muss darum noch lange nicht richtig sein. Schließlich hätte mich der weise Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zurückgehalten.
Dieser Gedanke ist Kohlhaas fremd. Er setzt sein Recht und vor allem sein Rechtsempfnden absolut und erkennt dabei eines nicht. Dass es Instanzen gibt, die, wenn nicht über oder jenseits des Rechts stehen, so aber doch genügend Einfluss haben, das Recht zu beeinflussen, zu dehnen oder gar straflos zu brechen. Siemens und andere machen nach, was Kleist die Mitglieder der Familie Tronka, die mindestens so verzweigt ist und ebenso gute Beziehungen zu den entscheidenden Stellen im Staat hat, vormachen ließ. Kohlhaas hätte also nur eine Möglichkeit gehabt. In dem Moment als er den Boden des herrschenden Rechts verlässt, hätte ihm klar sein müssen, dass es keinen Weg zurück geben kann, solange das herrschende Recht nicht durch ein anderes ersetzt ist. Erst wenn seine Rebellion in eine Revolution umgeschlagen wäre und die herrschenden Zustände umgestürzt haben würde, hätte er sein Recht kompromisslos durchsetzen können. Aber dazu kann er sich dann doch nicht unterstehen. Insofern ist Kleists Novelle als indirekter Aufruf zur Revolution zu verstehen. Vor dem zeitgeschichtlichen Hintergrund der Entstehung des Kohlhaas eine gewagte Tat.
Bleiben noch die Windmühlen. Aber hier sollte man vorsichtig sein. Zwar nimmt man die Windmühlen als Ungeheuer, die keine sind, gegen die daher aller Kampf und jede Anstregung vergebens ist, aber man sollte nicht vergessen, wer gegen diese kämpft. Don Quichotte ist ein verwirrter Träumer, der die Realität nicht mehr von der ihm so gewohnten Welt seiner Ritterromane

unterscheiden kann. So ist sein Kampf nicht nur sinnlos, sondern schlicht lächerlich. Aber wenn Träumer lächerlich sind, dann lasse ich mich gerne als lächerliche Person bezeichnen…

Esbjörn Svensson Trio – Seven days of falling

Am vergangenen Wochenende starb bei einem Tauchunfall im Alter von nur 44 Jahren Esbjörn Svensson, der kreative Kopf des ein schwedischen Jazztrios, das aus gutem Grund seinen Namen trug. Ungemein produktiv schuf er eine bis dahin noch nicht gehört Art von Jazz, die rockige Einflüsse sowie Elemente des Ambient zu einem einzigartigen Sound vereint, der seinesgleichen sucht. Nicht umsonst galt das Trio mit Svensson an der Spitze als erfolgreichste und was in meinen Augen viel wichtiger ist, als einflussreichste Band des modernen Jazz.
Als Beispiel mag hier das 2003 erschienene Album „Seven days of falling“ dienen. Eingängig in den Melodien und ungemein kreativ gehört das Album sicher zu dem besten, was ich von E.S.T bislang kenne. Es klingt ungemein modern, ohne die Wurzeln des „traditionellen“ Jazz der letzten 60 Jahre zu verleugnen.Ein weitaus geschulteres Ohr könnte sicher vielfältige Beziehungen und Einflüsse nachweisen. Dennoch verkommt das Album nicht zu einem platten postmodernen Synkretismus, wie er leider häufig anzutreffen ist. Ohne übermäßig laut oder verrückt zu sein, ist es dennoch auch gerade in den ruhigen Passagen ein sehr energiegeladenes Album, das man sich einmal live erlebt zu haben wünscht. Letztes Jahr hätte man diese Chance gehabt, quasi vor der Haustüre, tja…
Wer denkt, dass Jazz nicht mehr produktiv ist, sich im Epigonalen verloren hat und vergangener Tage und Helden nachtrauere sieht sich hier eines besseren belehrt.
In der Kunst besteht immer die Chance sie neu zu entdecken, dem scheinbar Alten neues Leben, ein anderes Leben einzuhauchen, in dem immer auch die Wurzeln des Alten neuen Boden finden und neu austreiben. Nur selten, vielleicht niemals war die Kunst voraussetzungslos und einfach nur neu. Immer ist das Neue, so fremd und verstörend es auch zuerst erscheinen mag, verknüpft mit dem Alten. Darauf aufmerksam gemacht zu haben ist Svensson zweitgrößtes Verdienst. Das größte ist seine Musik.

Alfred Kubin – Die andere Seite

An einem trüben Novembertag bekommt der Protagonist, der namenlos bleibt, Besuch von einem Fremden, der sich als Agent eines alten Jugendfreundes, Claus Patera, ausgibt. Die Überraschung des Protagonisten, der wie der Autor Zeichner ist, steigert sich im Verlauf des folgenden Gespräches zunehmend. Durch wundersame Zufälle sei sein Jugendfreund Claus Patera zu märchenhaftem Reichtum gelangt, mit dem er sich in den Steppen Asiens ein eigenes Reich, das Traumreich, erschaffen habe. Der Agent übergibt eine Einladung ins Traumreich über zu siedeln sowie 100.000 Mark, die als Reisegeld vorgesehen sind. Nach einigem Zweifel reisen der Zeichner und seine Frau mit allen verfügbaren Verkehrsmitteln quer durch die Welt , bis ihre Reise nach Wochen in den Weiten der asiatischen Steppe auf dem Rücken von Kamelen vor der gigantischen Mauer, die den Zugang ins Traumreich kontrolliert, ein Ziel findet.
Der Zugang zum Traumreich ist nur denjenigen gestattet, die vom Herrn selbst eingeladen wurden. Wie sich später zeigt, soll die Mauer, wie so viele, nicht nur die Bewohner und das Reich vor unerlaubten Eindringlingen beschützen, sondern auch den Bewohnern das Verlassen des Landes unmöglich machen.
Im Traumreich scheint keine Sonne, sind keine Sterne, ist kein Mond zu sehen. Alles ist in ein dämmriges Zwielicht getaucht. Das Ehepaar findet in der Hauptstadt „Perle“ Unterkunft und der Zeichner bald sogar eine Anstellung bei einer Zeitschrift. Die gesamte Architektur der Stadt besteht aus Gebäuden, die komplett aus Europa stammen, für viel Geld erworben, demontiert, und hier wieder aufgebaut wurden. Außerdem sind es alles alte Häuser, die schon mitunter deutliche Verfallspuren zeigen. Allerdings erweist sich dieses Ambiente als inspirierend und die Besucher leben sich rasch ein. Sie gewöhnen sich an die altmodische Art der Bewohner sich zu kleiden. Etwas schwerer dagegen fällt den beiden allerdings die Geldwirtschaft. Dinge, die in Europa teuer sind, bekommt man im Traumreich sehr billig. Dafür sind andere Artikel, zum Beispiel Streichhölzer, extrem kostspielig, sodass den beiden sehr bald das Geld ausgeht.
Hinzu kommen weitere eigenartige Sitten. So kann es vorkommen, dass plötzlich Menschen vor der Tür stehen und die Begleichung einer Rechnung fordern, die nie gestellt wurde. Das Amt funktioniert nach bester Kafkascher Art, (dieser Roman hatte einigen Einfluss auf Kafka, sodass man eigentlich sagen müsste, dass die Mechanismen der Bürokratie, die er beschreibt, der Art Kubins folgen), Eingaben werden verschlampt, Anliegen verschleppt, Akten mit Federn ohne Tinte beschrieben.
All das stört die Bewohner nicht, sie folgen ihren Spleens und lassen es sich so gut gehen. Beispielsweise besucht der Protagonist regelmäßig einen Friseurladen, dessen Inhaber ständig philosophische Vorträge hält und stattdessen einen Affen namens Giovanni Battista das Geschäft führen lässt, was dieser mit Leidenschaft und Perfektion zu tun versteht.
Realität und Traum verschwimmen im Traumreich, allderdings wirkt das alles in der ersten Hälfte des Romans zwar skuril aber dennoch liebenswürdig ja anregend.
Erst mit dem Tod seiner Frau beginnen sich die Dinge für den Zeichner in einem anderen Licht zu zeigen. Je weiter die Krankheit seiner Frau fortschreitet, desto unheimlicher wird ihm auch sein Umfeld. Er sucht nach Antworten, nach Gründen für die vielen seltsamen Begebenheiten und stößt doch nur auf noch mehr Fragen. Seiner zunehmdenen Renitenz begegnen die anderen Einwohner mit Skepsis und Zurückhaltung. Sie haben akzeptiert, dass Auflehnung keinen Sinn und erst Recht keine Chance hat. Der Herrscher des Reiches ist kaum zu Gesicht zu bekommen aber doch immer gegenwärtig, selbst in den Augen der Einwohner. Nach unbekanntem Gesetz herrscht er über sein Reich, Absichten und Ziele dieser Herrschaft bleiben so unsichtbar wie er selbst. Die Bewohner sind ihm ausgeliefert, haben nur die Chance der Anpassung, des Arrangements mit den bestehenden Verhältnissen.
Doch irgendetwas ist ab nun anders. Die Dinge scheinen aus dem Ruder zu laufen. Erst vergammelt und verwest alles Material, dann bricht eine schreckliche Plage über die Bewohner von Perle. Während die Einwohner einer zunehmenden Agonie ausgeliefert sind, vermehren sich alle übrigen Lebewesen scheinbar explosionsartig, zu Beginn die Insekten, später auch alle übrigen Tiere. Wölfe, Bären und Tiger ziehen durch die Straßen und reißen die verängstigten Bewohner. Irgendwann ergreift die Einwohner eine Art von kollektiver Psychose, die sich in unglaublichen Szenen abspielt. Wüste Orgien wandeln sich zu Gewaltexzessen.
Das Traumreich geht zugrunde. Immer schrecklicher werden die Visionen des Untergangs, die der Protagonist schildert, immer grausamer und abartiger die Taten der verstörten Bewohner. Einem amerikanischen Fabrikant für Büchsenfleisch, Herkules Bell, ist es unterdessen gelungen , sich den Zutritt zum Traumreich zu erschwindeln. Nun beginnt er mit Agitationen gegen Patera mit dem Ziel, eine Revolution hervorzurufen, an deren Ende er sich selbst zum Herrscher über das Traumreich aufzuschwingen gedenkt.
In einer letzten Vision schildert der Zeichner den Kampf zwischen Patera und Bell als grandioses Zerrbild in den mythischen Bildern einer apokalyptischen Kosmologie.
Am Ende steht der Satz: „Der Demiurg ist ein Zwitter.“
Das Traumreich beginnt zu sterben als die kalte, rationale Vernunft die Grenze des Reichs übertreten kann. Bell steht für diese, Patera als Herrscher des Traumreichs für jene. Das Universum zerfällt in Gegensätze, die sich gegenseitig bekämpfen. Leben und Tod, Traum und Realität, Amerika und Asien etc. In Pateras Reich zerfließen diese Grenzen, für einen Neuling eine faszinierende Erfahrung, aus der heraus eine ungeheure schöpferische Kraft fließt. Das Unbewusste als Quelle der menschlichen Kreativität. Ein starker Gedanke zu Beginn des 20. Jahrhunderts, man denke an Freuds „Traumdeutung“, das 1900 erschien. Kubins Roman erschien 1909 zum ersten Mal und ist vor diesem Hintergrund als Versuch zu lesen, Gesetzmäßikeiten des Unbewussten mit den Mitteln der Kunst nachzuspüren, zu simulieren, ja erst zu bestimmen. Was für den Neuling faszinierend war, wird für denjenigen, der zu lange im Reich des Traumes zu Gast war, zu einer alles überwältigenden Horrorvision, die den Träumer selbst zu vernichten droht. So ist das Reich des Traums nicht nur eine Spielwiese unserer eigenen kreativen Anlagen, sondern gleichzeitig auch ein uns selbst bedrohendes Monster, das wir nicht besiegen können, dem wir uns aber immer wieder zu stellen haben, vom dem wir uns aber nie überwältigen lassen dürfen.
Endet Kubins Roman mit der Erkenntnis der Gegensätzlichkeit aller Dinge und dem nie endenden Kampf derselben gegeneinander, so heißt das aber auch, dass im Menschen dieser Kampf ebenso tobt und es unsere Aufgabe ist, Herrscher unseres Traumreichs zu bleiben, es gegen die Realität draußen wie gegen die Monster drinnen zu behaupten. Damit ist das totalitäre Regime Pateras nur unter einem sozio-kulturellen Blickwinkel als negativ und bedrohlich zu betrachten und ich denke, dass ein solcher Blickwinkel dem Werk nur sehr wenig gerecht wird. Kubin war Künstler und ihn bewegten die Ausdrucksweisen und Möglichkeiten, die ihm die Bilder aus dem Unbewußten des Menschen für seine Kunst boten mehr als die Frage nach den bestehenden politischen Verhältnissen und der Kritik an denselben.

Macke: Mädchen unter Bäumen

Wie gelegentlich Postkarten erst nach dem Versender ankommen, so kommt dieser kleine Gruß aus München aufgrund von Unzulänglichkeiten in der technischen Handhabung meines Handys leider 2 Tage zu spät.
Es bleibt dennoch die Empfindung, dass der Anblick dieses Bildes, dessen Farben diese Abbildung erstaunlich gut wiedergeben, den ganzen Stress der Reise wert war. 2 Minuten vor diesem Gemälde waren so erholsam wie der tiefe Schlaf einer langen Nacht.


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