Als ich gestern Nachmittag den Wagen startete, lief „51st state“ von New Model Army. Tolles Timing, dachte ich, bis mir einfiel, dass ich gar keine CD mit diesem Lied im Auto hatte. Der Song lief im Radio, auf Deutschlandfunk!!! Dort wurde ein Feature über die Band, ihr das neue Album und die 36-jährige Bandgeschichte gesendet. Leider habe ich mehr als die Hälfte verpasst: Aber hier gibt es die Textfassung! Betitelt mit „Die Unzerstörbaren“! Das trifft sowohl auf die Band als auch auf den Sender zu, der wie ein Fels in der Brandung der von Verkaufsinteressen gleichgeschalteten Radiolandschaft in Deutschland steht. Großartig, dass so ein Beitrag noch möglich ist! Danke Deutschlandfunk!
Justin Sullivan und Dean White: 13.11.2011 im Jubez KA
Samstag 12.11. Rainald Grebe im Brahmssaal und am Sonntag Justin Sullivan Dean White im Jubez. Vor lauter Vorfreude und als Dank für die Info ein Gruß an Homberle:
Devotionalien
Da ist das Ding! Endlich. In einem schnöden weißen Plastiksack (fragt mich nicht, warum, das Paket darin war intakt) wurde die Box geliefert… Großartig!!!
Es fehlen noch ein paar Cover-Arts, wollte nicht zu viel auf das Foto quetschen.
Oh, sorry! Das Bild ist in der Vergrößerung unscharf. Mein Handy mag wohl die Lichtverhältnisse hier nicht…
New Model Army im Sudhaus Tübingen
New Model Army – High (2007)
Zwei Jahre sind seit dem letzten Album „Carnival“ vergangen. Ein Album, dass es bis heute nicht geschafft hat, mich vollständig zu erreichen. Kaum einer Platte habe ich in den letzten Jahren so viel Aufmerksamkeit geschenkt wie dieser, und dennoch, in die Liste der richtig guten Alben der New Model Army wird sie es wohl nicht mehr schaffen. Sei’s drum – die Jungs um Justin Sullivan haben mit „High“ ein Album nachgelegt, das vom ersten Eindruck ähnlich klingt wie sein Vorgänger, mich aber von der ersten Sekunde an überzeugt hat.
Das erste Lied „Wired“ ist eines im typischen Stil der New-Model-Army-Opener. Feiner Mid-Tempo Rock’n Roll. Der treibende Rhythmus lässt vermuten, was einen die nächsten rund 45 Minuten erwartet. Ein Zwei-Akkorde-Riff, untermalt von einem schnörkellosen Rhythmus, trägt die Strophe und mündet im zweistimmigen Refrain. Reduziert auf das Wesentliche eines guten Rocksongs umschreibt es eigentlich am besten, was das Stück ausmacht. Seit der Blues-Gitarrist Marshall Gill eingestiegen ist, fahren die Jungs die Rock-Schiene etwas konsequenter. Was auf „Carnival“ noch etwas holprig und häufig wenig durchdacht wirkte, passt diesmal deutlich besser zueinander.
Nur kurz Zeit zum Luftholen hat man dann während des Intros zu „One Of The Chosen“, ein herrlich disharmonisches Riff strandet im wütenden Schlagzeuggewitter von Michael Dean. Als hätte er sich während des ersten Liedes nicht genug austoben können, bearbeitet er hier seine Felle, als müsste er beweisen, welch erstklassiger Schlagzeuger er doch ist. Eine sich ständig steigernde Spannung baut sich auf, bis sie sich endlich im Refrain löst und man es kaum erwarten kann, dasselbe noch mal zu erleben.
Nach zwei Krachern wird es bei „High“ zum ersten Mal etwas ruhiger. Ein wunderschön verzweifelt klingender Justin Sullivan drückt hier auch noch den letzten Ton aus sich heraus, als wollte er nie mehr Luft holen. Zu den elektronischen Streichern – was man leider hört und was nie klingen wird, wie von einem Orchester eingespielte – gesellt sich die Gitarre mit einem herrlich einfachen Thema, das einen sofort in diese weiche, langsame Stimmung versetzt, die die Strophe vermittelt. Die Melodie klingt etwas nach „Aimless Desire“, viel schlimmer finde ich aber diese unsäglichen Streicher, die immer wieder im Lied auftauchen und der Nummer etwas von ihrer Schönheit rauben. Schade.
„No Mirror, No Shadow“ beginnt mit einem sehr bluesigen Gitarrenriff, bevor die Rhythmussektion es etwas erdrückt. Der Herzschlag der Welt, gebündelt in Schlagzeug und Bass, steigernd, wachsend, es hört ihn aber niemand. Genau wie die prophetisch vorgetragenen Weissagungen, von denen das Lied handelt. Alles das, was schon gesagt wurde, ist eingetreten, und scheint doch noch immer niemanden zu interessieren. Der Weg zurück zum typischen New-Model-Army-nur-Schlagzeug-und-Bass-Stil ist eindeutig gelungen. Das Lied macht aber noch viel mehr aus. Vorm letzten Refrain klingt die Nummer leicht nach Beschwörungsritualen längst vergessener Völker, bevor der ebenfalls beschwörend klingende Sullivan zum abschließenden Chorus bittet.
„Dawn“ ist ein „Summer-Redemption-Song“, wie Justin Sullivan diese Art Lieder nennt. Eine Mischung aus Seichtigkeit und Wut, ein ständiges Gratwandern. Man hat das Gefühl, das Lied müsse umschwingen – schneller, aggressiver, lauter werden; aber es bleibt ruhig und gelassen, wie eben die Morgendämmerung, die man kaum erwarten kann. Die Sonne erscheint schon am Horizont, lange grau, dann endlich rot und leuchtend. Aber das Rot will bei diesem Lied nicht kommen, es bleibt beim Grau – es ist jedoch ein schönes Grau. Ohne je langweilig zu werden, schaffen New Model Army es mit diesem Lied, ein zeitlos schönes Stück Musik zu schaffen, das bleibt – so wie jeder Sonnenaufgang.
„All Consuming Fire“ beginnt mit einem Riff, das sehr stark an „Master Race“ erinnert. Ein sehr düsteres Stück, bei dem die einzelnen Klavierstöße während der Strophe ein äußerst beklemmendes Gefühl verursachen. Dazu passt der wütende Sprechgesang von Sullivan und der zwar einfache aber sehr treibende Rhythmus. Textlich hält man es mal wieder mit der guten alten Westliche-Welt-Kritik:
The Captain abandoned ship years ago but nobody thought to inquire
And so the band plays on, we sail gently west
Und das Feuer frisst alles.
Viel ruhiger und durchaus wieder hoffnungsvoller kommt „Sky In Your Eyes“ daher. Man lässt sich gerne vom Thema etwas einlullen, weil es so herrlich fließt. Das Gitarrenspiel geht hier zwar fast ein bisschen unter, so dass man sich immer ein wenig darauf konzentrieren muss, was aber nicht schwer fällt, weil es einfach schön ist. In der zweiten Strophe wird es weggelassen, irgendwie ist es aber immer noch da – es schwingt mit – und wenn es wieder einsetzt, fühlt man es so, als sei es nie weggewesen.
Die gute alte Folkgitarre eröffnet „Into The Wind“. Genauso wie die Aussage immer schön weitermachen, als sei nichts gewesen, klingt dann das sarkastische „Face into the wind boys“, also brav nach vorne schauen und ja nicht zurückblicken – es wird schon alles gut werden. Leider scheint den Jungs kein Ende eingefallen zu sein, ein Fade-Out hört man dann doch eher selten bei New Model Army – oder soll das doch das langsame Ausklingen einer Herrschaft symbolisieren?
Bei „Nothing Dies Easy“ wird der Rhythmus und das Riff des Eröffnungsstücks in leicht abgewandelter Form aufgenommen. Bei weitem nicht so kraftvoll und homogen, aber immer noch stimmig und zum Lied passend. Das täuscht jedoch nicht darüber hinweg, dass dies eine der schwächeren Nummern des Albums ist.
Die treibenden Drums bei „Breathing“, nur begleitet von einzelnen Keyboardtönen und einem leicht entrückt scheinenden Justin, klingen in der Tat wie das eigene Atmen und der Herzschlag in Momenten, in denen man die Welt um sich herum nicht mehr wahrnimmt, und man im Vakuum seines Selbst nur noch den eigenen Körper spürt. Dann wird man im Refrain wieder aus der Lethargie gerissen, man erwacht noch ein letztes Mal, bevor man stirbt. Ein erfrischend überraschender Break, die Stille des Augenblicks, alles mündet im ersehnten Finale.
„Rivers“ ist das einzige Stück, das ich schon vor der Veröffentlichung von „High“ kannte. Vielleicht liegt es daran, dass ich es als das stärkste Lied des Albums einschätze. Irgendwie fällt es mir trotzdem, oder gerade deshalb sehr schwer, viel Worte darüber zu verlieren. Es ist einfach eine Nummer, die man immer wieder hören möchte, weil sie so schön ist. Punkt.
In „Bloodsports“ findet das Album einen denkbar würdigen Rausschmeißer, der auf mehr hoffen lässt. Früher wäre ich vielleicht traurig gewesen, dass nach nur 12 Stücken ein weiteres Kapitel in der leider endlichen Geschichte der New Model Army geschlossen wird. Heute bin ich froh, dass ich miterleben darf, wie sie geschrieben wird. Ich bin glücklich, dass dieses Album nicht nach einem Ende klingt, textlich und musikalisch erscheint zwar alles sehr düster, wütend und verzweifelt. Es wird aber immer noch mit so viel Begeisterung und Kraft vorgetragen, dass man sich wünscht, manch junge, aufstrebende Band würde so viel Enthusiasmus und Lust in ihre Musik packen, wie die alten Männer von New Model Army.