Oscarnominierung für Michael Hanekes „Weisses Band“

Gestern ist Hanekes „Weißes Band“ für den Oscar nominiert worden und das gleich zweimal: zum einen für „Bester fremdsprachiger Film“ und dann noch für „Beste Kamera“. Ohne zu wissen was die Mitbewerber aus Argentinien, Peru und Israel zu bieten haben, denke ich, dass Haneke eine ausgezeichnete Chance hat.

Ort des Filmgeschehens ist ein Dorf namens Eichwald in Norddeutschland kurz vor Beginn des ersten Weltkrieges. Man sieht den Landarzt auf seinem Pferd übers Feld reiten, Pferd und Reiter stürzen spektakulär, der Mann ist schwer verletzt. Jemand hat eine Schnur über den Weg gespannt. Das Attentat wird von Polizeibeamten aus der Stadt untersucht, der Schuldige bleibt jedoch unauffindbar. Das Dorfleben schreitet wieder im gewohnten langsamen Rhythmus voran. Dann kommt es erneut zu Vorfällen. Der Junge des Barons verschwindet spurlos, wird ohnmächtig und misshandelt in der Scheune aufgefunden und ein behinderter Junge wird im Wald geblendet. Niemand weiß, wer hinter all diesen Untaten steckt. Die Spannungen zwischen den Dorfbewohnern wachsen ins Unerträgliche, das Verhältnis zwischen dem Baron und seinen Untergebenen verschlechtert sich drastisch. Man fühlt, das Böse treibt sein Unwesen in dieser ländlichen Idylle. Und stets finden sich kurz nach den mysteriösen Vorfällen die Dorfkinder als Zaungäste ein, erkundigen sich mit neugierigen Gesichtern und unverwandten Blicken nach den Betroffenen. Eine zentrale Figur im Film ist der Dorfschullehrer, der irgendwann den grauenvollen Verdacht schöpft, dass hinter all den Missetaten die Kinder stecken könnten. Er versucht zu intervenieren. Doch über allem schwebt der unbarmherzig strenge Geist des Protestantismus: Ein weißes Band, in Haaren und Ärmeln befestigt, soll sie zu Anstand und moralischem Handeln gemahnen während die Erwachsenen sie zu Hause perfide misshandeln und quälen. Die Geschichte schließt ungelöst mit der Nachricht vom Krieg und den Andeutungen des Erzählers, dass nun das Zeitalter der totalen Entgrenzung angebrochen ist.

Das Kinoerlebnis „Weißes Band“ fühlt sich wahrscheinlich an wie die Inkubationszeit von Wundstarrkrampf und Tollwut zugleich. Die Geschichte ist schnörkellos gut erzählt, kommt ohne Farbe (schwarz-weiß) und ohne jegliche Filmmusik daher (eines von Hanekes Kardinalprinzipien: „keine Ablenkung“), besticht durch die lähmende, zugleich fiebernde Ruhe, mit der die Figuren in und aus dem Bild geleitet werden. Der Zuschauer fühlt sich in die Mitte des Dorfplatzes gestellt. Trotz der fast drei Stunden kann jedoch von Langeweile nicht die Rede sein, denn ein jeder wartet darauf, dass sich die Spannung endlich löst und sich die „Krankheit“ dieser Dorfgemeinschaft endlich offenbart.

Eine „Faschismustheorie“ bietet der Film nicht (,auch wenn und der Name „Eichwald“ uns etwas plump auf diese Fährte locken soll). Auch die Bezeichnung „Psychogramm“ einer Gesellschaft am Eingang zu den Weltkriegen ist zuviel gesagt. Dies sind nur zwei Begriffe, die im Zusammenhang mit dem Film in den letzten Worten immer wieder verwendet werden. Für beide ist der Film wohl zu plakativ, zu schwarz-weiß, zu scherenschnittartig, zu artifiziell, die Kinder schlicht zu böse. Im besten Fall ist „Das Weiße Band“ ein Gedankenspiel, wie der Mensch auf einem Boden von Strenge und Unmenschlichkeit zur Bestie werden kann. Der Film lebt von seinen Figuren und ist Schauspielerkino von feinster Klasse, und das zum Glück mal mit vielen unbekannten Schauspielern. Alles in allem ein gekonntes Werk, das den Oscar im März durchaus verdient hat. – Außerdem bleibt zu erwähnen, dass die Dorfkinder ein wenig an die Kinder in dem 1960er Horror-Klassiker-Streifen „Das Dorf der Verdammten“ erinnern, womit Eichwald dann mit Spöck gleichzusetzen wäre. Könnte hinkommen.

Offizieller Trailer zum Film „Das Weiße Band“:

http://www.youtube.com/watch?v=2aaapMYGBJs

Once

once

Einfach alles anders machen, mit kleinem Budget und auch sonst sehr beschränkten Mitteln. Mal den umgekehrten Weg beschreiten: Musiker spielen Schauspieler – nicht andersherum. Das ganze noch mit einer feinen Geschichte und fantastischem Soundtrack versehen, schon ist die Idee eines Independent-Films auch ganz nah dran am sonst so unwahrscheinlichen kommerziellen Erfolg geboren.
„Once“ erzählt die Geschichte zweier Namenlosen dicht am Rande der Gesellschaft. Hier bin ich schon beim ersten bemerkenswerten Alleinstellungsmerkmal: Die zwei hauptdarstellenden Musiker, im wahren Leben Glen Hansard (The Frames) und Markéta Irglová, stellen sich für den Zuschauer nie namentlich vor. Zwei unbekannte, die sich zufällig auf der Straße bei des Mannes eigentlicher Leidenschaft – seine Lieder in den Einkaufsstraßen Dublins mit niemals gespieltem sondern stets wahrem Herzblut darzubieten – lernen sich über Nebensächlichkeiten (ihr kaputter Staubsauger, den er, gelernter Staubsaugerreparateur, reparieren kann) kennen. Sie finden schnell heraus, dass für beide die Musik ein nicht unerheblicher Bestandteil ihres ansonsten tristen Lebens ist. Geblendet von zu viel Hollywood-Schund malt man sich schon die weitere Geschichte aus: der erste Kuss, Schwören der ewigen Liebe, Plattenvertrag und Erfolg bis zum Abwinken. Nicht hier. Die zwar vorhandenene aber niemals gespielt wirkende Annäherung der beiden verläuft fast schon kindlich naiv. Die Schlüsselszene des Films findet in einem Musikgeschäft statt.

Almost Famous – Tiny Dancer (Elton John)

Es gibt gute Lieder. Es gibt gute Filme. Für sich alleine schon Kunstwerke, die nahezu perfekt scheinen. In seltenen Fällen kann durch die scheinbar beiläufige Symbiose aus Musik und Bildern ein eigenes, kleines Kunstwerk in 2:30 entstehen.

1973. San Diego. William ist 15 als seine Schwester auszieht, weil ihre Mutter sie in den Wahnsinn treibt. Als Vermächtnis hinterlässt sie ihm ihre Plattensammlung. Von da an ist er infiziert. Er beginnt die Musik zu lieben und versucht seiner Liebe in Form von Plattenkritiken Ausdruck und Gehör zu verschaffen. Durch einige glückliche Umstände findet er sich schon bald im Tourbus der aufstrebenden Band „Stillwater“ wieder, um für das Rolling-Stone-Magazine einen Tourneebericht zu schreiben.

Manch einer mag sagen, dass der Plot schon jetzt gähnend unglaubwürdig sei – die Realität jedoch, schreibt noch immer die schönsten Geschichten. Cameron Crowe – Drehbuchautor und Regisseur des Films – gibt hier nämlich weitestgehend seine eigenen Erfahrungen wieder, als er im Alter Williams war, und mit nur 16 Jahren seine eigene erste Titel-Story bei eben dieser legendären Zeitschrift hatte; nur dass die Band, die er damals begleitete, die Allman Brothers waren.

Es war die Zeit zwischen dem „Summer Of Love“ der späten 60er Jahre und der aufkeimenden, ständig wütenden Punk-Ära. Es gab unzählige Versuche, diese Zeit in Worte und Bilder oder bebilderte Worte zu fassen, richtig verstehen kann man sie wohl nur, wenn man sie selbst erlebt hat. Und genau hier liegt der Unterschied. Crowe versucht gar nicht erst zu erklären. Er erzählt einfach nur eine Geschichte, wie sie stattgefunden haben könnte. Ohne erhobenen Zeigefinger, ohne unnötige Beschönigungen oder langwierige Ausschweifungen über Sex, Drugs & Rock’n Roll. Man möchte einfach glauben, dass es damals so war, ohne es zu wissen – und noch wichtiger – ohne es wirklich wissen zu wollen.

Dabei hilft ihm die Tatsache, dass er für das zentrale Thema des Films – die Musik der Zeit – einen Großteil des Budgets investierte: Nicht weniger als 50 Titel umfasst der gesamte Soundtrack. Die Songs der Band Stillwater wurden von Peter Frampton und Cameron Crowe selbst und eigens für den Film geschrieben, und reihen sich unauffällig in die Klassiker der Größen der 70er Jahre ein. Es ist schon bemerkenswert, wie die Songschreiber es verstanden, zwischen Black Sabbath, Deep Purple, Iggy Pop, Lynyrd Skynyrd, Led Zeppelin oder Simon&Garfunkel – um nur einige zu nennen – mit Liedern zu bestehen, die 20 Jahre später entstanden und dennoch das Gefühl vermitteln, als gehörten sie in diese Zeit.

Der Film hangelt sich über einer Stunde sehr unterhaltsam bis zu seiner zentralen Szene: Nach Wochen auf Tour spitzen sich die Konflikte in der Band zu, bis der Gitarrist und Star der Band sich auf einer von Fans veranstalteten Party wieder findet. Vom schnellen Erfolg und Drogen benebelt, aber genauso enttäuscht vom Leben, das ihm genau das bescherte, sieht er sich kurz vorm Suizid, während ihm die Partygäste zujubeln, als wüssten sie, dass genau so Legenden geboren werden. Den kindischen und wahnwitzigen Selbstmordversuch überlebt er natürlich. Zurück im Tourbus ist die Stimmung selbstverständlich am absoluten Tiefpunkt. Im Radio läuft Tiny Dancer von Elton John. Ein Lied, welches wahrscheinlich bis dato den meisten völlig unbekannt sein dürfte. Und vielleicht liegt auch genau darin die Magie des Moments. Die Kamerafahrt innerhalb des Busses zeigt tief enttäuschte Gesichter, keiner weiß, ob das bisher erreichte jetzt noch wichtig ist, der gemeinsame Traum scheint zu zerplatzen. Dann aber zeigt sich die stupide Einfachheit der Musik und was sie bewirken kann. Ein simpler Song und die damit verbundenen – oder die dadurch ausgelösten Gefühle, schlagen ins genaue Gegenteil der ursprünglichen Situation um. Erst sacht und leise – spätestens beim Chorus laut und frenetisch – singen alle mit. Alles bisher Geschehene scheint vergessen, nie da gewesen und plötzlich nicht mehr wichtig. Wer als unbeteiligter Betrachter bisher verständnislos zuschaute, wird spätestens beim gehauchten „You are home“ der nicht ganz fiktiven Penny Lane – gespielt von einer fantastischen Kate Hudson – in die Szene gerissen, und kann sich nur unter selbstauferlegten Schmerzen am Mitsingen hindern.

Diese, gefühlt viel zu kurze Szene, verleiht dem Film das gewisse Etwas, um ihn zu einem besonderen Film zu machen. Crowe hat es geschafft, ein Gefühl für die Zeit zu vermitteln, und einen Einstieg in die Musik – wie William es auch erlebte – zu ermöglichen.

Warum fühlt man sich gut, wenn man morgens aufwacht und die Sonne scheint? Ich weiß es nicht.
Genau so ein Gefühl weckt dieser Film – und da kann es dann egal sein, warum das so ist.

Ausschnitt bei Youtube
Schöne Version von Dave Grohl