Die Unzerstörbaren

Als ich gestern Nachmittag den Wagen startete, lief „51st state“ von New Model Army. Tolles Timing, dachte ich, bis mir einfiel, dass ich gar keine CD mit diesem Lied im Auto hatte. Der Song lief im Radio, auf Deutschlandfunk!!! Dort wurde ein Feature über die Band, ihr das neue Album und die 36-jährige Bandgeschichte gesendet. Leider habe ich mehr als die Hälfte verpasst: Aber hier gibt es die Textfassung! Betitelt mit „Die Unzerstörbaren“! Das trifft sowohl auf die Band als auch auf den Sender zu, der wie ein Fels in der Brandung der von Verkaufsinteressen gleichgeschalteten Radiolandschaft in Deutschland steht. Großartig, dass so ein Beitrag noch möglich ist! Danke Deutschlandfunk!

Die Stasi und Bob Dylan

Jonny Cashs Cover von Tom Pettys „I won’t back down“ führte mich zu Tom Petty und vom Wikipedia-Artikel zu Tom Petty. Dort verlinkt die Stasi-Akte über ein Konzert von 1987 im Treptower Park. Neben Dylan spielte dort auch Tom Petty & The Heartbreakers. Nicht sonderlich spektakulär die Akte, aber kurios, worüber man so stolpert, wenn man aufs Geradewohl im Netz stöbert.

http://www.bstu.bund.de/DE/Wissen/Aktenfunde/Bob_Dylan/bob_dylan.html?nn=2053058

 

Über das ZEIT Magazin (mal wieder)

Auch diese Woche ärgere ich mich über das ZEIT Magazin.  Wohin man blickt sieht man schlechte Fotos in hippe Retrooptik. Die Möbel im Hintergrund sehen aus wie vom Sperrmüll, der Fokus verrutscht, dass Licht zu hell, Motive nur halb im Bild.  Wäre ich Fotograf, ich würde kotzen. Schlechte Fotos gut machen, hieße wohl die  Ausrede. Aber das ist doch Quatsch.  Etwas schlecht machen kann jeder. Da hilft auch kein Filter, der das Foto aussehen lässt wie aus den 70ern. Mein Vater war kein Fotograf und so sahen seine Bilder aus der Zeit eben auch aus: schlecht.  Retro reduziert die Vergangenheit auf Nostalgie plus Kitsch.Dass sich das ZEIT Magazin für sowas hergibt, auf der flachen Welle des Zeitgeistes zu reiten, ist doch nur erklärbar als Maßnahme im Abwehrkampf gegen das Sterben der Printmedien. Wenn alles bloß noch Design, Mode oder Reise ist, dann fehlen doch nur noch Promis und Titten (aber das hatten wir ja letztes Jahr schon mit der peinlichen Fotoserie dieser schwedischen „Künstlerin“, deren Hauptsujet ihre Titten und ihr halbnackter Freund war). Dann kann man auch die Bunte zur ZEIT dazu legen.  So hätten vielleicht beide Druckerzeugnisse was davon. Ich könnte dann die Bunte einfach wegwerfen und müsste nicht erst 5 Seiten Werbung überblättern, um die Kolumne von Martenstein zu finden, die im Übrigen diese Woche auch schwach ist.

Ein ruhiger Vormittag

Nach dem Hardcore-sightseeing von gestern schien mir heute Vormittag ein wenig Kontemplation angebracht. Meine Reisegefährten gingen shoppen, ich wollte in die Neue Galerie, die sich auf der 5th Ave befindet, ungefähr zwischen Guggenheim Museum und dem Metropolitan Museum of Art. Auf dem Weg dorthin ein kleines Frühstück (Bagel mit Frischkäse und Schwarztee). In einer kleinen, wundervoll hergerichteten Stadtvilla wird deutsche und österreichische Kunst (und Design) der Jahrundertwende (1900) gezeigt. Eine kleine, aber feine Sammlung, die ein Herr Sabarsky einst zusammengetragen hat sowie einige Leihgaben zum aus der Sammlung von Estée Lauder. Wenige, dafür nur große Namen finden sich: Klimt (u.a mit dem Bloch-Bauer II Portrait), Kokoschka, Schiele, Gerst, Kubin, Moser ( dem ein ganzes Stockwerk gewidmet ist). Nur 74 Leute dürfen gleichzeitig ins Museum, aus Sicherheitsgründen, wie auf irgendeinem Schild zu lesen steht. Entsprechend ruhig geht es zu. Ein  wundervoller Kontrast zu gestern mit den Massen am Times Square. Das Highlight des Museums ist neben dem Bloch-Bauer Porträt in meinen Augen der angeschlossene Buchladen, der vielleicht klein sein mag, aber alle relevanten Namen der Kunst und Literatur der vorletzten Jahrhundertwende anbietet. Beeindruckend.  Der Hin- und Rückweg am Central Park entlang gefällt bei strahlendem Sonnenschein besonders.

Leopoldina

Im Kulturzentrum Tempel im Karlsruher Westen traf ich am Samstag Nachmittag auf Leopoldina, eine entzückende Mopsdame. Auch sie war zum Kulturmarkt „Support the underground“ im Karlsruher Kulterzentrum Tempel gekommen. Die Karlsruher Hippster spielten Spitalfield Market, man hatte seinen Spaß. Manch ein Kreativer konnte sogar was verkaufen. Schöne Stücke gab es dort.

Mir erlaubte man, Leopoldina einen Moment zu halten. Ich ließ sie wieder hinunter, sie strampelte und fiel kopfüber zu Boden. Sie hat sich nicht verletzt, aber der Schreck stand ihr ins Gesicht geschrieben. Dennoch rappelte sie sich wieder auf und kläffte eine Katze an. Mein schlechtes Gewissen aber bleibt. Und Yolanda? Die blieb zu Hause, bewachte die Bücher und dachte über Cromwells Bär nach.

Mauerwerk 9

image

Dreibeiniger Hund. Gefunden an der Mauer des Stadtgartens. Archaisch oder visionär? Kritik an urbaner Tierhaltung oder heimlicher Wunsch nach mehr Exotik im kleinbürgerlichen Naherholungsgebiet zwischen Gondoletta und Streichelzoo?

Stille Orte 2

image

Die Herrentoilette im Spanky Van Dyke’s in Nottingham beeindruckt durch den Kontrast von chaotischen Tags auf Metall und der strengen Kühle der weißen Kacheln. Dieses Klo ist eine Metapher des neoliberalen Großbritannien. 😉

Stille Orte – 1 Florale Kachel

Es gibt in meinen Augen viele gute Artikel auf diesem Blog. Allerdings werden sie kaum wahrgenommen. Das allein ist überhaupt kein Problem, streben wir doch eine große Leserschaft auch gar nicht an. Was aber sehr verwundert, ist, dass auserechnet ein Artikel hier seit seinem Erscheinen vor mehr als einem halben Jahr täglich bis zu 200 Klicks erzielt. Dieser Artikel ist einer der unwichtigsten, die hier veröffentlicht wurden. Er diente eigentlich eher der privaten Dokumentation als der Aufklärung der Massen, auch wenn der ironische Titel anderes anzudeuten scheint.

Es ist dieser hier: http://rauschi.tv/blog/?p=936 Um gegen die Überschwemmung des Bedeutenden  durch das Irrelevante im eigenen Haus zu protestieren, schaffe ich hier eine neue Reihe, die man als einen Beitrag zum europäischen und deutschen Sanitär-Design betrachten darf und an Irrelevanz kaum zu übertreffen sein dürfte. Dokumentiert wird Gestaltung von Herrentoiletten: Beginnen wir mit einer Kachel im floralen Design umrahmt von schlammfarbener  Kachel. Aufgenommen im legendären Milano in Karlsruhe.

Shakespare mal wieder – 2 – Richard III.

Ende August werden wir wieder London besuchen, auch dieses Mal wieder das Globe Theater.

Waren vor zwei Jahren alle Shakespeare Stücke ausverkauft, so konnten wir in diesem Jahr Karten für Richard III. Ergattern. Ein großartiges Stück, dem ich den Vorrang vor dem „wahnsinnigen“ Hamlet gegeben habe, für den auch noch Karten zu haben waren. Vor allem weil dieses Stück nicht den „normalen“ Regeln der Gattung folgt, sondern von Anfang an offen ausspricht, was geschehen wird. Gleich zu Beginn des Stückes hören wir von Richards (zu diesem Zeitpunkt noch Herzog von Gloster) Plan. Diesen habe ich ja gestern schon zitiert ( in der Übersetzung von Schlegel): http://rauschi.tv/blog/?p=941

Er, der für ein Leben am Hof nicht gemacht ist, hat im gerade beendeten Bürgerkrieg seine Bestimmung gefunden. Politik, Intrige, Heimtücke und Mord sind seine Sache. Er war maßgeblich daran beteiligt, dass sich das Haus York im blutigen Ringen um die Krone durchsetzen konnte. Sein Bruder Edward ist König, sein anderer Bruder Clarence ist der erste Mann im Staat. Jetzt könnte der Frieden kommen, aber das ist Richards Sache nicht, wie er im ersten Teil seines Monologs erzählt. Schon seine Physis ist einem königlichen Hof nicht angemessen. Richard ist körperlich behindert, deformiert. Die Art und Weise wie er sein eigenes Äußeres beschreibt, weist auch auf psychische Deformiertheit hin. Wie viel Ekel und Abscheu liegt nicht den Worten über seine eigene Erscheinung. Er fühlt sich marginalisiert in einer Welt der Schönheit und der Galanterie. Und weil er nicht dazu gehört, strebt er nach dem, was allein ihm Anerkennung schaffen könnte: Macht. Der Fatalismus, der in diesem Gedanken steckt, ist deutlich. Wenn er die Macht nicht erlangen kann, dann hätte er auf seinem Weg dahin immerhin diese so schön scheinende Welt des Hofes zerstört. Denn alle, die ihm im Weg stehen, müssen weichen. Die Mittel dazu sind nicht egal. Sie sollen böse sein, hinterhältig, blutig. Ein tiefsitzender Hass ist das, nicht bloß Neid.

Wer steht ihm im Weg? Zuerst sein Bruder, der König. Dann der andere, ältere Bruder. Mit ihnen die Frauen, Margaret, Elisabeth sowie die Prinzen und Nachfolger, eben alle, die ihm den Thron streitig machen könnten. Jene will er gegen einander hetzen, diese ein für alle Mal aus dem Weg räumen. Ohne jetzt den ganzen verwickelten Plot zu referieren, nur dies: es funktioniert. Richard wird König, aber am Ende wird er wahnsinnig, glaubt seinen Gegner Richmond sechsfach und wird von diesem schließlich überwunden.

Wo aber soll denn jetzt das Tragische liegen? Wohl niemand wird ernsthaft mit Richard Mitleid haben, wie es die traditionelle Dramatheorie verlangt. Richard bekommt, was er verdient. Und reinigt diese Tragödie von Furcht, der anderen Seite der theoretischen Medallie? Wohl kaum. Der Reiz der Tragödie liegt doch darin, dass man einen Menschen vor sich sieht, der einen gemischten Charakter hat, der schlechte Seiten haben mag, aber eben auch eine gute hat und sei diese noch so unscheinbar. Wenn solch ein Mensch scheitert, weil „das Eigentümliche [seines] Ichs mit dem notwendigen Gang des Ganzen zusammen stößt“, d.h. modern gesprochen sein persönlicher Lebensentwurf am Schicksal zerschellt, dann mag man mitleiden und Sympathie haben mit einer solchen Figur.

Richard gehört nicht zu dieser Art Figuren.

Er ist zerfressen von einem Hass, der zwar gegen seine Umwelt gerichtet ist, aber im Grunde nur Selbsthass ist. Denn wen lässt er umbringen? Doch hauptsächlich seine Familie (auch wenn Familienbande im Hochadel nicht unbedingt sehr eng sein müssen), seine ehemaligen Weggefährten. Je unnachgiebiger er sein Ziel mit wachsendem Hass verfolgt, desto weniger werden die, die aus irgendwelchen Gründen zu ihm gehalten haben. Und in der Nacht vor der entscheidenden Schlacht gegen Richmond bedrängen ihn im Schlaf die Geister seiner Opfer. Ein Rest von Gewissen meldet sich, aber auch die Erkenntnis, dass er keine Gnade will. Sein letztes Bekenntnis gipfelt einem Satz, der den wahren Grund für seine gestörte Persönlichkeit und seine grausamen Taten angibt: kein Geschöpf liebt mich. Dieser letzte Monolog ist es ebenfalls wert, zitiert zu werden:

„Ein andres Pferd! verbindet meine Wunden!

Erbarmen, Jesus! – Still, ich träumte nur.

O feig Gewissen, wie du mich bedrängst! –

Das Licht brennt blau. Ist’s nicht um Mitternacht?

Mein schauerndes Gebein deckt kalter Schweiß.

Was fürcht ich denn? mich selbst? Sonst ist hier niemand.

Richard liebt Richard: das heißt, Ich bin Ich.

Ist hier ein Mörder? Nein. – Ja, ich bin hier.

So flieh. – Wie? vor dir selbst? Mit gutem Grund:

Ich möchte rächen. Wie? mich an mir selbst?

Ich liebe ja mich selbst. Wofür? für Gutes,

Das je ich selbst hätt‘ an mir selbst getan?

O leider, nein! Vielmehr haß ich mich selbst,

Verhaßter Taten halb, durch mich verübt.

Ich bin ein Schurke – doch ich lüg, ich bin’s nicht.

Tor, rede gut von dir! Tor, schmeichle nicht!

Hat mein Gewissen doch viel tausend Zungen,

Und jede Zunge bringt verschiednes Zeugnis,

Und jedes Zeugnis straft mich einen Schurken.

Meineid, Meineid, im allerhöchsten Grad,

Mord, grauser Mord, im fürchterlichsten Grad,

Jedwede Sünd‘, in jedem Grad geübt,

Stürmt an die Schranken, rufend: Schuldig! schuldig!

Ich muß verzweifeln. – Kein Geschöpfe liebt mich,

Und sterb ich, wird sich keine Seel‘ erbarmen.

Ja, warum sollten’s andre? Find ich selbst

In mir doch kein Erbarmen mit mir selbst.

Mir schien’s, die Seelen all, die ich ermordet,

Kämen ins Zelt, und ihrer jede drohte

Mit Rache morgen auf das Haupt des Richard.“

Das Streben nach Äußerlichkeiten ist mehr als nur der Wunsch nach Luxus, Geld, Macht. Es ist ein Suchen nach etwas, das man in sich selbst suchen sollte, aber vom ungebändigten Egoismus oder der ungezügelten Egomanie verschüttet ist, oder wie in Richards Fall, gar nicht vorhanden ist.

Die viel weniger grausamen, weil weniger blutigen Ableger mag man heute in denen finden, die nach immer mehr verlangen, wo sie doch schon mehr als genug besitzen, die ohne Rücksicht ihrem Egoismus oder dem ihrer scheinbaren sozialen Schicht folgen, um etwas zu kompensieren, dessen Verlust sie selbst nicht (oder nicht mehr) wahrnehmen können. Vielleicht liegt hier das Tragische Moment des Stückes. Gerade dadurch dass Shakespeare den Leser bzw. Zuschauer zum Komplizen Richards macht, indem der Leser zum stummen Zeugen von dessen Plänen wird, liegt das Befremdliche für uns. Es erinnert uns daran, dass wir alle viel zu sehr nach Dingen streben oder an ihnen hängen, die nichts bedeuten verglichen mit dem, was wir dafür opfern.

„Die Wahrheit über Arnold Hau“.

Wir haben es drei mutigen Männern zu verdanken, dass sie das vielfältige Schaffen von Arnold Hau einem breiten Publikum zugänglich machten. Hau gehört zu den großen Unbekannten, zu den Nicht-vergessenen, denn niemand der Kulturschaffenden nahm ihn wahr. Hau wirkte im Verborgenen und es ist durchaus ungewiss, ob er mit dieser Herausgabe seiner Werke einverstanden gewesen wäre. Aber hat nicht auch Max Brod den Wunsch seines Freundes Kafka, seine Werke zu vernichten, nicht erfüllt, zum höheren Wohle der menschlichen Kultur und zum Leidwesen vieler Gymnasiasten? Manchmal fehlt einem Künstler eben die Distanz zum eigenen Werk.