Bulgakows Meister und Margarita in der Durlacher Orgelfabrik II

Durchaus konsequent reiht sich der Bulgakows „Meister und Margarita“ in der Aufführungsgeschichte der Durlacher Orgelfabrik ein; nach Kafkas Werken (Das Schloss, Der Proceß, Verwandlung) und Thomas Manns „Tod in Venedig“, um nur einige Stücke der letzten Jahre zu nennen, hat sich das Autorenteam Franco Rosa und Gabriele Michel wieder an eine Adaption eines großen düsteren Romanes gewagt. „Meister und Margarita“, 1940 geschrieben, danach jahrlang in der Sowjetunion auf dem Index und erst 1966 veröffentlicht, ist eine Satire auf die starr-bürokratische, dogmatisch-atheistische Sowjetunion und die geknechtete Kunst- und Kulturszene Moskaus. Die Orgelfabrik mit ihrem rauen, früh-industriellen Charme bietet für diesen Roman ein hervorragendes Setting. Die Architektur der Orgelfabrik  mit seinen vielen unterschiedlichenen Ebenen war entsprechend hervorragend genutzt und das Bühnenbild bis zum kleinsten Detail stimmig. Ein wahrer Augenschmaus! Die Umsetzung der Romanhandlung in ein Bühnenstück jedoch war erwartungsgemäß holprig. Da der Roman an sich schon expressionistisch dissoziiert anmutet und sehr stark von der Aneinanderreihung von surrealen Sequenzen und einem komplexen Geflecht von Handlungssträngen lebt, ist auch das Tempo des Stücks rasant, die Anzahl der Szenenwechsel beträchtlich und die Handlung durch die Überfülle der Eindrücke und Szenen ohne Lektüre des Buches nicht ganz einfach nachzuvollziehen. Vielleicht wäre hier eine noch stärkere, radikalere Reduktion der Romanhandlung vonnöten gewesen, da das Stück bisweilen etwas überfrachtet erschien. – Videosequenzen sind an vielen Bühnen der letzte Schrei. Ihr Einsatz muss jedoch  motiviert sein. Weswegen die Truppe die Vorgeschichte der Beziehung des Meisters zu seiner Margarita gerade mit dieses Medium darstellt, erschließt sich dem Zuschauer nicht. Was auf der Bühne spielbar ist, muss gespielt werden! Eine Effekthascherei mit dem willkürlichen Einsatz von Medien hat die Orgelfabrik nicht nötig. – Die Stärke des Orgelfabriktheaters ist das hervorragende Ensemble, das mit ihrer Schauspielkunst, ihren Dialogen und Monologen brillierte. Mehr davon! Weniger „action“ hingegen wäre bisweilen ratsam gewesen! Die Umsetzung der surrealen und bedrohlichen Sequenzen im Buches, z.B. die Zaubervorstellung des Herr Volands und seiner Hexen, wirken hingegen überzogen und klaumaukhaft. Das Bedrohliche und Beklemmende, das im Buch im Hexentreiben spürbar wird, verschwindet im Stück an einigen Stellen gänzlich. – Im Ganzen muss man sagen, dass das ehrgeizige Unterfangen „Meister und Margarita“ für die Bühne leider nur mäßig geglückt ist. Bei einer Umarbeitung eines solchen Romanes wie „Meister und Margarita“ möge sich das Autorenteam auf die Stärken der Truppe besinnen, noch mehr riskieren beim Umschreiben der Vorlagen und bei schwer umsetzbaren phantastischen Szenen darauf achten, dass man nicht zu publikumsgefällig wird und dem Klamauk erliegt. Nichtsdestotrotz, ein Theaterbesuch in der Orgelfabrik  ist alleine Dank der starken schauspielerischen Leistung des Ensemles und den Räumlichkeiten der Orgelfabrik stark anzuraten.

Der Meister und Margarita – Orgelfabrik 2.9.2011

Ein tolles Haus, ein großartiges Ambiente. Die Orgelfabrik passt perfekt ins beschauliche, kleine Durlach. Gestern konnte man dort die Umsetzung von Bulgakows Roman für die Bühne anschauen. Wer den Roman gelesen hat, weiß, dass das eine mutige Aufgabe ist, dieses Werk auf eine Bühne zu bringen. Man sieht sich vor zwei grundlegende Entscheidungen gestellt: entweder das Werk so getreu wie möglich auf der Bühne abbilden, oder heftig in das Gefüge der Geschichte eingreifen, um daraus eine im weitesten Sinne dramatische Struktur zu entwickeln, die dieser Art von Kunst entspricht. Die erste Variante ist im Rahmen der Orgelfabrik natürlich nicht zu realisieren und ich würde so etwas auch gar nicht sehen wollen. Es müsste bombastisch, überladen werden.
Also blieb nur die zweite Möglichkeit. Leider ist man nicht konsequent genug vorgegangen. Man wollte dem Gerüst des Romans folgen und so kam es zu einigen weniger gelungenen Szenen, in denen einfach nur Inhalt referiert wurde oder per Filmeinspielung Rückblenden vorgenommen wurden, um den Geamtzusammenhang aufrecht zu erhalten. Man hätte vielleicht die ganze eingeschobene Pilatushandlung streichen können, die ohnehin nur an einigen wenigen Stellen zu Tage trat. Für die Geschichte um Voland und seine Umtriebe in der Stadt braucht man die Pilatusepisoden nicht. Sicher, im Roman haben sie ihren Platz, aber ein Theaterstück ist kein Roman.
Man muss sagen, dass die Macher des Stücks an der Aufgabe, den Roman auf die Bühne zu bringen, gescheitert sind. Das ist keine Schande. Dieses Buch ist zu vielschichtig und grotesk verdreht, dass es in meinen Augen nicht umsetzbar ist, ohne dem ganzen Werk größere Gewalt anzutun.
Die Leistung der Schauspieler dagegen war tadellos, was das Publikum etwas mehr hätte würdigen dürfen. Trotz der oben genannten  strukturellen Probleme war es eine tolle Aufführung, die sich dem großartigen Rahmen würdig erwiesen hat.

Shakespeare- Was ihr wollt (Badisches Staatstheater Karlsruhe, 29.4.2008)

Ein Mädchen aus gutem Hause, Viola, überlebt mit knapper Not einen Schiffbruch und strandet an der Küste Illyriens. Sie hält ihren Bruder, der mit ihr auf dem Schiff fuhr für tot und tritt als Mann verkleidet in die Dienste des Herzogs Orsino, der seinerseits unsterblich und leider unglücklich in Olivia verliebt ist. Diese weist alle männlichen Annäherungsversuche ab, seit ihr vor Kurzem der geliebte Bruder starb. Viloa, jetzt Cesario wird im Auftrag von Orsino bei Olivia vorstellig, um sie von Orsinos Liebe zu überzeugen.
Scheint soweit alles klar, doch jetzt beginnen die Verwicklungen. Olivia verliebt sich in Cesario (Viola), Viola aber verliebt sich in ihren Herrn Orsino. Als sei das noch nicht kompliziert genug mischen auch noch Olivias Onkel, Sir Toby und dessen Kumpan Sir Andrew mit, die außer Saufen und F…. wenig im Sinn haben. Auf der unstillbaren Suche nach einem Mittel gegen die fürstliche Langeweile der eigenen Existenz fällt ihnen nichts besseres ein als zusammen mit Olivias Zofe Maria (mittelmäßig gespielt von der dafür umso bezaubernderen Anna-Magdalena Beetz) dem Hofmeister der Olivia, Malvolio, der sich durch Pedanterie und Unterwürfigkeit auszeichnet, einen Streich zu spielen. Maria fälscht einen Brief an Malvolio, in dem sie diesem ihre angebliche Liebe gesteht und ihn auffordert, in gelben Strümpfen vor ihr zu erscheinen.
Nun sieht man den Spießer sich wandeln. Aus dem kuschenden Diener wird der despotische Herr und verrückte Geliebte, der sich die Rache für all den erlittenen Unbill von Seiten Sir Tobys schon in allen Einzelheiten ausmalt.
Aber sein lächerlicher Auftritt endet für ihn im Kerker. Der offenbar Geisteskranke wird weggesperrt.
Alles geht auf auf großartige Weise durcheinander, man liebt, was man sieht, ohne das Wesen des Gegenüber zu kennen.
Als Violas Bruder auftaucht, der den Schiffbruch ebenfalls überlebt hat, kommt es schließlich zum Showdown. Die Verwicklungen lösen sich zur Vorteil aller auf. Viola bekommt Orsino, der von seiner unglücklichen Liebe zu Olivia genesen ist, Olivia bekommt den Bruder Violas/Cesarios, Sir Toby und Sir Andrew werden von Violas Bruder Sebastian übel verdroschen, somit wäre auch der schlimme Streich an Malvolio gesühnt.
Eine Doppelhochzeit besiegelt das Glück.
Die Aufführung besticht durch eine mutige moderne Inszenierung, die aber nicht mehr wirklich beidruckend findet, wer hin und wieder im Staatstheater ein Stück ansieht. Die Bühne wird dominiert von einem Kunstrasen in einem schreienden Grün, das sich sogar die Wände hinaufzieht, von denen herab Viola zu Beginn sich abseilen die ersten Verse des Textes spricht. Alle Schauspieler befinden sich permanent auf der Bühne, die mit zahlreichem Gartengerät und einem angedeuteten Zaun ausgestattet, den Eindruck gartenmäßiger Künstlichkeit erweckt. Irritierend aber wohl in dieselbe Richtung zielend darf man wohl den Hintergrund verstehen, auf der der Mond bzw. diverse Planeten abgebildet sind.
Alles atmet die Amosphäre des Künstlichen. Illyrien ist nicht das ferne, unbekannte Land, sondern ein ganz und gar künstlicher Ort, an dem die Illusion vorherrscht und keineswegs eine naturnahe Ausgeglichenheit des Gemüts anzutreffen ist.
Nichts ist, was es zu sein scheint ist, und doch hängen alle so am sehr an diesem Schein, das man sich wundert, dass die Sache überhaupt ein Lösung finden kann. Diese Lösung ist daher auch letztlich zufällig. Kein Geschick, kein Gott und schon gar nicht der Narr, der mit seinen Liedern auf allen Seiten präsent ist, bringt dir Lösung. Verwicklung und Lösung sind letztlich dem blinden Zufall des menschlichen Handels und der Hegemonie des Zufalls zu danken. Ja nicht einmal die allgegenwärtige Liebe hat die Macht, die Verhältnisse zu ordnen. Vielmehr sind die Sehnsüchte der Figuren so sehr an die Äußerlichkeiten des Gegenüber wie an das eigene Empfinden geknüpft, dass man erleichtert ist, dass die ganze Verwicklung nicht in einer Katastrophe endet. Das Stück spielt auf der schmalen Grenze zwischen unverbindlicher Unterhaltung und tragischer Erschütterung. Wie schmal der Grad zwischen Komödie und Tragödie ist, zeigt das Schicksal Malvolios, dem von Toby und Andrew wirklich übel mitgespielt wird. Selbst als jener im Kerker liegt, setzen sie ihren boshaften Scherz fort und quälen ihn weiter. Zwar wird er am Ende aus seinem finsteren Loch entlassen und der üble Scherz kommt ans Licht, aber das war es auch schon. Hier zeigt sich nicht nur der tragische Zug des Stücks, sondern auch, wenn man so weit gehen will, ein Ansatz zur Kritik am abgehobenen, irrelevanten, rücksichtslosen Gebaren einer feudalen Minderheit, die sich nicht um die Konsequenzen seiner Handlungen schert.
Der Text scheint mir gekürzt, aber auf jeden Fall mal mehr mal weniger schonend modernisiert. Hin und wieder werden zeitgenössische Pointen eingeflochten (Mindestlohn für Briefträger).
Besonders Lob gebührt der Darstellerin der Viola (Cesario) (Annika Martens). Nur durch ihren Sprachduktus allein gelingt es ihr, die feine Unterscheidung zwischen den eigenen Gefühlen der Viola und ihrer Rolle als Cesario zu unterstreichen.
Von den zahlreichen eingeflochtenen Gags, die in bester Slapstickmanier, aber dennoch nicht überdreht, eingestreut werden sowie von den kleineren Highlights (Joints aus Kunstrasen etc.) schweige ich an dieser Stelle schmunzelnd.
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