Lotte in Weimar 2. Teil

Der Roman ist ein Gesellschaftsroman in bester Dostojewski`scher Manier. Ausgedehnte, geschliffene Dialoge, präzis gezeichnete Figuren, wie man das von Mann ja schließlich auch gewohnt ist. Der Höhepunkt mag den Leser vielleicht enttäuschen, Goethe und Lotte verkehren nur im Rahmen eines gut besuchten Mittagsessens miteinander, von Goethe genau zu dem Zweck eingerichtet, um nicht mit der alten Freundin die alten Zeiten heraufbeschwören zu müssen.
Man mag sich dafür im letzten Kapitel entschädigt sehen, als Lotte in Goethes Kutsche auf dem Heimweg vom Theater diesen halb wach halb träumend neben sich sitzen fühlt. Im Reich des Imaginären findet dann das von Lotte (und auch vom Leser?) erwartete Gespräch in beinahe intimer Vertrautheit statt. Allerdings erscheint der alte Freund in diesem Gespräch nur durch seine eigenen Werke vermittelt, ein Zeichen für die unüberbrückbare Distanz zwischen beiden. Goethes Person ist hinter seinem Werk verschwunden, er ist, wie er es auch selbst einmal gesagt hat, sich selbst historisch geworden.
Dasselbe gilt für Lotte allerdings in eher tragischem Sinne. Von ihrer Umwelt auf die Lotte Werthers reduziert bleibt ihr nichts anderes übrig als gerade in der literarischen Person sich selbst zu manifestieren. Gelegentliche Verweise auf ihr mehr oder weniger erfülltes Leben, ihre reale Existenz, sind als verzweifelte Auflehnung gegen die Tendenz der literarischen Legendenbildung zu werten.

Lotte in Weimar

Nicht allein aus beruflichen Gründen habe ich in den letzten Wochen zur Entspannung Thomas Manns Roman „Lotte in Weimar“ gelesen, sondern vor allem deshalb, weil ich den Ton Manns vermisst habe.
Dieser Roman gehört sicherlich nicht zu seinen größten, aber er ist, vor allem für einen, der sich mit Goethe beschäftigt, doch ein spannendes Kleinod. Thomas Manns Talent und seine Freude an der leisen Ironie wird man sofort gewahr, sobald man auf den ersten Seiten dem unterwürfig servilen Hotelangestelten Mager in Berührung begegnet, der in seiner, dem Ort angepassten literarischen Schwärmerei, Lotte ein ums andere Mal auf die Nerven geht.
Höhepunkt des Buches ist in meinen Augen nicht das Essen, bei dem dann die beiden alten Freunde nach 40 Jahren wieder aufeinandertreffen, sondern vielmehr der ausgedehnte innere Monolog des Olympiers im 7. Kapitel. Nur einem Goethe ist der Ton dieses Monologes zuzutrauen, von daher hat ihn Thomas Mann auch korrekt gestaltet. Wer sich schon ein wenig mit Goethe beschäftigt hat, wird einiges wiedererkennen, was er in Briefen, Dichtung und Wahrheit, Eckermanns Gesprächen (auch wenn diese erst Jahre später einsetzen) und nicht zuletzt in zahlreichen großen und kleinen Werken gelesen haben mag.
Innerhalb dieses Kapitels beeindruckt vor allem der angesichts eines bevorstehenden Maskenumzugs in eine Art kreativen Rausch verfallende greise Dichter, der einen Plan des „barocken“ Maskenfests im ersten Akt seines Faust 2 imaginiert, während Sohn August unverständig auf die Undurchführbarkeit des vom Vater vorgestellten hinweist. Das Beispiel erinnert an eine Stelle aus den Gesprächen mit Eckermann, in der der treue Freund überliefert, wie Goethe aus dem Stegreif den Plan der Oper „Moses in Ägypten“ von Rossini nicht nur kritisiert, sondern entwirft auf der Stelle einen neuen: Goethe fuhr fort mit großer Heiterkeit die ganze Oper Schritt für Schritt durch alle Szenen und Akte auzubauen, immer geistreich und voller Leben, […], und zum freudigen Erstaunen der ganzen Gesellschaft, die den unaufhaltsamen Fluß seiner Gedanken und den heiteren Reichtum seiner Erfindungen zu bewundern hatte.“ (Gespräch vom 7.10.1828).

ist fortzusetzen…

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