Wo Geschichten spielen

Letzte Woche habe ich Beilage in ZEIT zur Frankfurter Buchmesse durch geblättert und ein paar Rezensionen überflogen. Mir fielen die Bände von Zoe Jenny und Ann Cotton auf. Beide Bände versammeln Erzählungen.  Auffallend war, an wie vielen unterschiedlichen Orten die einzelnen Geschichten offensichtlich spielen. Marokko, Kreuzberg, eine Straße in New York und was weiß ich wo noch. Offenbar ist ein deutlich zu identifizierender Schauplatz der Handlung stets vorhanden. Es wirkte auf mich so, als seien diese Schauplätze notwendig für die jeweilige Geschichte. Ich kenne keine einzige dieses Geschichten, die natürlich Erzählung genannt werden, aber ich bin mir sicher, dass der Ort der Handlung für keine gute Geschichte notwendig ist. Man erinnere sich an die Kurzgeschichten Wolfgang Borcherts ( ich erspare mir eine Liste mit weiteren Beispielen). Diese brauchten auch keine  präzise Ortsangabe,  um ihre eigene Faszination zu entwickeln. Eine  Bank in einem Park, ein zerbombtes Haus irgendwo in Deutschland, ein Bahnhof mitten in der Nacht. Das reicht als Ortsangabe völlig.  Neuere und  neueste „Erzählungen“ aber brauchen wohl eine präzise Ortsangabe. Vermutlich um Aufmerksamkeit zu erregen und um persönliches wie soziales Interesse und Prestige auf Seiten der Leserschaft zu erregen. Eine Geschichte, die nicht an Orten spielt, die interessant, cool, hipp oder exotisch sind, scheinen nicht von Interesse. Was am Times Square spielt, muss wichtig sein, was in Kreuzberg spielt hipp. So wird die Ortsangabe zum Tand, zum Accessoire, das der auf Äußerlichkeiten bedachte „Leser“ zur Schau stellt, um seine ganz persönliche Individualität auszudrücken. Umgekehrt kann ein solcher Leser an den Schauplätzen ermessen , ob der Inhalt literarische Qualität verspricht, denn was weit weg ist, oder an bekannten Orten spielt muss wohl auch bedeutend sein. Die exzessive Verortung von Geschichten für mich eher ein Zeichen von Einfallslosigkeit als ein Qualitätsmerkmal.

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