Johann Gottfried Herder und der deutsche Buchmarkt

Herder ist einer der bedeutendsten Köpfe der deutschen Aufklärung, ja der deutschen Geistesgeschichte überhaupt, Ein Mann, dessen Werk eine unglaubliche Wirkung entfaltet hat, und das nicht nur auf den jungen Goethe.

Über die Bedeutung von Johann Gottfried Herder braucht man nicht zu streiten, er gehört zu den ganz Großen. Dennoch exisitiert auf dem deutschen Buchmarkt, der jedes Jahr 100.000 Bücher neu auf den Markt wirft, soweit ich sehe, keine moderne, kompakte, wissenschaftlichen Standards genügende Ausgabe seiner Werke, die für einen akzeptablen Preis erhältlich wäre. Die Ausgabe des Hanser Verlages nimmt 80 bis 100 Euro pro Band, die beste moderne Ausgabe des Deutschen Klassikerverlages (ich glaube 10 bändig) 100 bis 120 Euro pro Band. Einzelausgaben bestimmter Werke sind selbstverständlich erhältlich, so z.B. bei Reclam.

Goethe und Google

Letztens war zu lesen, dass jetzt auch Google einen eigenen Tablet-PC auf den Markt werfen möchte. Es soll wohl kein schlechtes Gerät sein, aber das ist mir eigentlich egal. Wer das Tablet kauft, bekommt Transformers 3 geschenkt. DerFilm ist schon auf dem Gerät. Wem das noch nicht genug Science-fiction ist, nur keine Aufregung. Ebenso vorinstalliert ist das Ebook von Goethes Faust, die „Emilia Galotti“ von Lessing und  Aus dem Leben eines Taugenichts“ von Joseph von Eichendorff.

Nietzsches Jungendschriften

Zwischen dem 18. August und dem 1. September 1858 schreibt der 14-jährige Friedrich Wilhelm Nietzsche einen Text, der den Titel „Aus meinem Leben – I. Die Jugendjahre“ trägt. Nein, nein keine Angst, das soll nicht der Aufhänger sein, um Autobiographien „jugendlicher“  „Berühmtheiten“ zu besprechen oder mit dem Vorbild aus dem 19. Jahrhundert zu vergleichen, auch wenn es sicherlich interessant wäre, Nietzsches Jugendschriften mit der eben erschienenen Autobiographie von Daniela Katzenberger zu vergleichen. Dazu müsste man dieses Werk aber gelesen haben, und ehrlich gesagt ist mir meine Zeit und mein Geld dafür zu schade. Sollte mir der Verlag oder sonstwer das Buch zur Verfügung stellen, werde ich dies natürlich sehr gerne tun ;-).

Kunst – Gesellschaft – web2.0. Ein Essay in Teilen – 2. Wilde Zeiten

Goethe fühlt sich wohl. Trägt seine „Werther-Uniform“, blauer Rock, gelbe Hose, gelbe Weste, halbhohe Stiefel. So kleidet sich die Jungend in ganz Deutschland. Genie, Kraft, Gefühl, Natur, Shakespeare sind die Schlagworte der Zeit, der Werther ist Leitbild, jeder will sein wie er, fühlen wie er, ja einige schießen sich tatsächlich wie der unglückliche Werther eine Kugel in den Kopf, den Roman in der Tasche. „Werther-Fieber“ nannte man das. „Werther-Effekt“ nennt man das heute. Der Sturm und Drang als Jugendbewegung, Urahn des Flowerpower, Großvater des Grunge. Allerdings, der Autor lebt, hat sich eben nicht die Kugel gegeben, als er an Liebe und Leben litt. Er Lebt jetzt in Weimar. Und wie!
Goethe ist 26, der regierende Fürst 18. Alles scheint möglich in dem kleinen Fürstentum. Die jungen Menschen am Hof finden sich, die Alten schauen kopfschüttelnd zu. Ein waschechter Generationenkonflikt, mit dem Vorteil auf der Seite der Jungen. Auch hier sind die Alten konservativ, reaktionär, spießig. Aber die höchste Autorität ist der junge Herzog. Also tut man, was man will. Keine übergeordnete Instanz schränkt die jungen Leute ein. Keiner kommt mit dem alten „Tu dies nicht, tu das nicht“ und wohlgemeinte Ratschläge der Alten kann man ignorieren, darin sollte man Übung haben in diesem Alter.
Gezielt provoziert die Jugend, verstößt gegen Etikette. Goethe kommt in seinen groben Wertherstiefeln zur fürstlichen Tafel marschiert, flucht ständig, sodass Charlotte von Stein ihm aus dem Weg geht und glaubt, „Goethe und ich werden niemals Freunde“.
Da sollte sie sich täuschen. Die feine Hofdame beschwert sich über das Verhalten des Dichters:
„…und nun sein unanständ’ges Betragen mit Fluchen, mit pöbelhaften niedern Ausdrücken. Auf sein Moralisches, sobald es aufs Handeln ankommt, wird’s vielleicht keinen Einfluss haben, aber er verdirbt andere.“
Andere, das ist vor allem der Herzog, um den sie sich sorgt. Immerhin soll dieser die Geschicke des Landes lenken, ein sich wie wild aufführender junger Dichter kann da doch kaum ein gutes Vorbild abgeben.
Goethes bringt das Schlittschuhfahren nach Weimar. Man ist begeistert. Läuft nachts auf den Seen, am Ufer stehen Diener mit Fackeln und erhellen die Szene.
Carl August und er sind unzertrennlich in dieser Zeit. Sie reiten durchs Land, knallen vorher mit den Reitpeitschen auf dem Markt. Goethe verletzt sich dabei am Auge, wie er nach Frankfurt schreibt. Mit den Jägern durchstreifen sie das Land, verbringen die Nächte am Lagerfeuer, schwimmen nackt in Flüssen und Seen zum Entsetzen der Landbevölkerung. Treten verkleidet oder unter falschem Namen auf, schäkern mit den Mädchen auf den Dörfern. Immer mehr junge, vor allem „genialische“ Naturen tauchen in Weimar auf, und sei nur für ein paar Wochen. Der Herzog hält sie aus, beschenkt sie, verabschiedet sie wieder. So kommen die Brüder Stolberg, Lenz, Klinger. Gemeinsam poltert man ins Zimmer der Herzogin Luise, die das sehr krumm nimmt, schießt mit Pistolen im Haus, reitet nachts mit weißen Bettlaken bekleidet durchs Land und verschreckt die Bauern. Fällt in Gasthöfen ein, säuft bis zum Umfallen, lässt die Fässer des Gasthauses den Berg hinunterrollen, wirft Gläser an die Wand.
Sie lassen die Tür zum Zimmer der Hofdame Amalie von Göchhausen zumauern. Man amüsiert sich, als man erfährt, dass das arme Ding wie blöd im Haus herumgelaufen ist, ihr Zimmer suchend, und schließlich in einem Zustand arger Verwirrtheit bei einer Freundin auf dem Sofa übernachten musste.
Ein knappes halbes Jahr dauert der Spuk. im Sommer 1776 wird Goethe zum „Geheimen Lagationsrat ernannt“, erhält 1200 Taler Gehalt (nur einer verdient mehr im Herzogtum) und wird gegen heftige Widerstände in das Geheime Conseil berufen, wird also Mitglied der Regierung. Man hat sich offenbar ausgetobt und lässt es jetzt ruhiger angehen.
10 Jahre lang wird sich Goethe nun den Regierungsgeschäften widmen, wird in seiner Liebe zu Charlotte von Stein erstarren und so gut wie nichts schreiben. Erst durch seine Flucht nach Italien wird er diesen Zustand überwinden können.
Auf den ersten Blick mag dieses halbe Jahr dem sinnlos oder vertan erscheinen, der glaubt das Leben bestünde aus Arbeit und ein Leben um des Lebens willen sei ein Widerspruch. In dieser Zeit wird aber der Grundstein gelegt für jenen berühmten Musenhof, der wohl einzigartig in der deutschen Geistesgeschichte sein dürfte. Nicht Wien, nicht Augsburg oder Mannheim, Braunschweig oder Hamburg, sondern in dem kleinen, im Vergleich ärmlichen und abgelegenen Fürstentum im Thüringer Wald finden sich eine Reihe von Künstlern zusammen, die sich gegenseitig inspirieren und motivieren, eingerahmt von einer Gruppe empfindungsfähiger Menschen. Im Rahmen eines absolutistischen Fürstentums bildet sich ein Kreis von Menschen, die versuchen, der Kunst den Primat über das Leben einzuräumen. Der Kreis von Weimar als soziales Experiment.

Kunst – Gesellschaft – web2.0 . Ein Essay in Teilen – 1. Goethe kommt nach Weimar

1775 kommt Goethe nach Weimar. Der Bürgersohn aus der Freien Reichsstadt Frankfurt, die ihren muffigen Stolz eines autonomen Bürgertums vor sich her trägt, soll nun den Fürstenknecht spielen. Goethes Vater ist dagegen, möchte vielmehr, dass der Sohn wie vor Jahren er selbst nach Italien fährt. Für den Moment scheint es, als habe der Vater gesiegt. Goethe besteigt die Kutsche und reist gen Süden. Nach ein paar fröhlichen Tagen holt ihn ein Brief des Kammerherrn von Kalb in Heidelberg ein.
„Ich packte für den Norden, und ziehe nach Süden, ich sagte zu, und komme nicht, ich sagte ab und komme“, heißt es in Goethes Reisetagebuch vom 30.10.1775.
Der Weg nach Italien führt über Thüringen. Unsicherheit spricht aus den Antithesen dieses Satzes. Die Warnung des Vater, in einen Bibelvers verpackt, eröffnet den kurzen Text. Zwischen den Wünschen des Vaters und der Einladung des Herzogs muss er sich entscheiden. Bürgertum oder Höfische Gesellschaft! Er will aber nicht in Frankfurt bleiben, auch wenn er einige liebe Menschen würde zurücklassen muss. Aber auch Weimar soll nicht für immer sein. Wohin die Reise gehen wird, ist ihm wohl selbst nicht klar in diesen Tagen.
Vom jungen Carl August, dem seit kurzem regierenden Fürsten, eingeladen, trifft Goethe am 7.11.1775 in dem kleinem thüringischen Fürstentum ein. Ein paar Tage später lernt er eine Frau kennen, die sein Leben mehr als zehn Jahren hindurch prägen wird, Charlotte von Stein.
Aber nicht allein den Günstling des jungen Fürsten zu geben, soll seine Aufgabe sein, nein, er soll in den Staatsdienst eintreten und neben seiner Schriftstellerei Politik und Verwaltung des kleinen Herzogtums mitgestalten. Eine große Aufgabe für einen 26-jährigen mittelmäßigen Juristen, auch wenn er im Moment der Stern am wolkenverhangenen Himmel der europäischen Literatur ist. Nicht Hofdichter, nicht Gründer und Mittelpunkt eines Musenhofes, Beamter soll er sein. Seine Art, seine Orginalität, sein Genie, wie es die Zeit nennt, soll dem 18-jährigen Herzog beiseite stehen, das ganze Staatswesen beleben. Und wenn der Herzog profitiert, so geht es auch den Untertanen besser. So jedenfalls in der Theorie des aufgeklärten Absolutismus.
Was soll`s. Die erste Zeit ist ohnehin eine des Kennenlernens. Mal schauen, wie sich die Dinge entwickeln. Gehen kann man immer. Zur Not flüchten – aber das wird noch elf Jahre dauern.
Mit Wieland hat er sich schon angefreundet. Der ist ganz begeistert von ihm, alle früheren Vorbehalte gegen den Fremden mit einem Lächeln beiseite wischend: „Goethe, den wir seit neun Tagen hier besitzen, ist das größte Genie, und der beste, liebenswerteste Mensch, den ich kenne…“
Auch wenn er nicht für immer bleiben will (er wird es bekanntlich dennoch tun…), auch wenn der junge Mann nicht so recht weiß, was aus ihm selbst werden soll, in Weimar gefällt es ihm bald so gut, dass er im Dezember seinen Freund Herder in Thüringische zu lotsen versucht:„Lieber Bruder der Herzog bedarf eines General Superintendenten, hättest du die Zeit deinen Plan auf Göttingen geändert, wäre hier wohl was zu thun. Schreib mir ein Wort. Allenfalls ist auf die Veränderlichkeit der Zukunft ein Blick hierher. Leb wohl. […] Mir ists wohl hier, in aller Art. Wieland ist eine brave Seele und die Fürstenkinder edel lieb und hold.“
Zuversicht also. Die alten Zweifel verstummen im wirbelnden Neuen. Und in Weimar geht’s rund in den kommenden Monaten.

Gruß vom alten Werther

Wenn du fragst, wie Leute hier sind, muß ich dir sagen: wie überall!
Es ist ein einförmiges Ding um das Menschengeschlecht. Die meisten verarbeiten den größten Teil der Zeit, um zu leben, und das bißchen, das ihnen von Freiheit bleibt, ängstigt sie so, daß sie alle Mittel aufsuchen, um es los zu werden…

Sigrid Damm – Goethe und Christiane

Nach dem Buch über die Beziehung Goethes zu Frau von Stein schloss sich nahtlos die Lektüre des vorliegenden Werkes an. In der breitgefächerten Goetheforschung kommt Christiane Vulpius traditionell schlecht weg. Obwohl sie seit 1788 bis zu ihrem Tod im Jahr mit ihm zusammenlebte, seit 1806 sogar offiziell als seine Ehefrau. Die hartnäckigen und langlebigen Resentiments des kleinen Weimarer Hofes scheinen in dieser beinah bis auf den heuitgen Tage reichenden Abneigung eine dauerhafte Fortsetzung zu finden. Unbegreiflich schon für viele der Zeitgenossen, warum Goethe sich ausgerechnet in ein armes, aus einfachsten Verhältnissen stammenden, Mädchen verliebt und beschließt, sie zu sich zu nehmen. Selbst seit 1775 geadelt und bis zu seinem Aufbruch nach Italien 1786 in den höchsten Gremien des kleinen Fürstentums beschäftigt, von Bürgern wie Adligen verehrt und bewundert, mit freundschaftlichen Kontakten, die bis in die höchsten Kreisen reichten, hatte er eine große Auswahl an adligen Töchtern gutbetuchter Fürsten. Und doch wählt er ein armes Mädchen aus Weimar, das ihm kurz nach seiner Rückkehr aus Italien im Park an der Ilm über den Weg läuft. Das zu akzeptieren fiel der Weimarer Hofgesellschaft schwer und es fällt auch aufgeklärteren Gemütern neueren Zeiten schwer sich damit abzufinden. Die Nichtbeachtung der Frau von Goethe geht sogar soweit, dass man sie Christiane nennt. Ihr richtiger Name ist aber Christiana. Goethe hat sie so genannt, in Urkunden und anderen Dokumenten findet sich der richtige Name und ihre Briefe unterschrieb sie mit ihrem richtigen Namen. Es verwundert also sehr, wenn erst Sigrid Damm dafür sorgen muss, dass Christianes richtiger Name in das Bewußtsein der Menschen rückt. Wenn sie von der Autorin dennoch weiterhin Christiane genannt wird, so ist das eine Kapitulation vor tumben Behäbigkeit der Konvention.
Gerade die unkorrekte Nennung beweist die überhebliche Ignoranz, mit der Christiane seit, sie in Goethes Leben trat, behandelt wurde. Andere haben Glück und werden irgendwann nach ihrem Tod vergessen, vollständig. Von Christiane bleiben aber auch 200 Jahre nach ihrem Tod zumeist Negatives. Man nannte sie „Goethes Magd“, „ein rundes Nichts“, „eine geistige Null“, Bettina von Armin bezeichnete sie sogar als „Blutwurst“.
Dass Goethe sie geliebt hat, und das doch ausreichend sein sollte, wird manchmal sogar angezweifelt.
Es ist also Sigrid Damms Verdienst, Goethes langjähriger Begleiterin und Frau Gerechtigkeit verschafft und ihr in ihrem Buch ein im besten Sinne unspektakuläres und freundlich gesinntes Denkmal gesetzt zu haben.
Sachlich und trotzdem leise Sympathie bekunden erzählt sie Christianes Leben vor der Bekanntschaft mit Goethe. Erst nach ca. 100 Seiten treffen Goethe und die 15 Jahre jüngere Christiane im Park an der Ilm aufeinander. Vorher lernt man nicht nur ihre Vofahren kennen, sondern man darf auch einen Blick auf die kultur- und alltagsgeschichtlichen Umstände der sogenannten „einfachen“ Leute im 17. und 18.Jahrhunderts.
Das verzweifelte Bemühen der Vorfahren um unbezahlte Stellen in der Verwaltung der absolutistischen Fürstentümer der Zeit, die Not, die Armut, etc.
Das Leben mit Goethe wird unter Einbeziehung zahlreicher Quellen lebendig dargestellt. Man verfolgt das Leben der beiden durch die Jahre, sieht Höhen und Tiefen kommen und wieder gehen; verfolgt die ersten schüchternen Versuche Christianes im Leben der feinen Gesellschaft Fuß zu fassen, sich zu behaupten.
Man sieht sie tanzen und sich vergnügen, während Goethe zuhause sitzt und planvoll ein Werk vorantreibt.
Auch ihren Tod schildert die Autorin, wie Christiane sich in schweren Krämpfen windet und Goethe sich selbst in eine Krankheit flüchtet, um das alles nicht mit ansehen zu müssen. Goethes so bekannte „Scheu“ vor dem Tod findet an dieser Stelle sein dunkelstes Beispiel.
Sicher hatte Christiane nicht den Einfluss auf das Werk ihres Mannes wie Charlotte von Stein oder Marianne von Willemer. Sie, die sich nie viel mit seinem Werk beschäftigt hat, obwohl die oft kolportierte Aussagen, nach der sie nie eines seiner Werke gelesen habe, nicht zutrifft, musste oft zugunsten des Werkes ihres Mannes zurücktreten, wenn er monatelang auf Reisen war, sich lange Zeit nach Jena zurückzog, um ungestört arbeiten zu können. In letzter Konsequenz musste sie sich dem „höheren“ Ziel unterordnen, was ihre lange Zeit schwerfiel. Und dennoch hat Goethe zu ihr gehalten und sie schließlich, auch um sie materiell abzusichern im Falles seines Todes, zu Frau genommen.
Das Buch ist kein wissenschaftliches Werk, Gott sei Dank, und schon gar keines, das durch die feministische Brille die Verhältnisse verzerrt. Es ist ein Buch mit starkem erzählerischem Akzent. Das belegen auch die zahlreichen Elipsen, die, vor allem zu Beginn des Buches, ein klein wenig negativ ausfallen. In der Ausgabe des Spiegel ist dieses schöne Werk auch zu einem mehr als fairen Preis in einer guten Ausgabe zugänglich.

Helmut Koopmann – Goethe und Frau von Stein

Natürlich nicht das erste Buch über Goethes Beziehung zu Charlotte von Stein. Wer schreibt schon das erste Buch über Goethe? Koopmann geht in diesem schlanken Buch (279 S.) im Detail Goethes Liebesbeziehung zu Charlotte von Stein nach. Von der ersten Begegnung bis 1775 bis zu Charlottes Tod 1827 reicht die Darstellung. Natürlich konzentriert sich Koopmann auf die Jahre, in denen diese Beziehung am intensivsten war. Die Jahre nach Goethes Rückkehr aus Italien werden gerafft, die Folgezeit von eisiger Abkühlung bis zu erneuter Annäherung im Alter unter dem Zeichen einer „Seelenfreundschaft“ unwesentlich weniger ausführlich dargestellt.
Jede Darstellung der Beziehung von Goethe und Charlotte von Stein leidet unter der Tatsache, dass lediglich Goethes Briefe erhalten sind. Charlotte von Stein ließ sich nach dem Abbruch der Beziehung ihre Briefe zurückgeben. Sie hat alle verbrannt. So bleibt man allein auf Goethes Briefe angewiesen. Über 1700 schriftliche Mitteilungen, Briefe und Zettel hat Goethe Charlotte im Laufe der Jahre zukommen lassen. Diesem Problem muss sich auch diese Studie stellen. Eine wirklich glaubwürdige Darstellung kann so meiner Meinung nach nicht gelingen. Reaktionen, Gefühle, ja Charlottes ganze Sichtweise auf diese Beziehung muss man aus Andeutungen in Goethes Briefen erschließen.
Um dem Briefwechsel der beiden und damit der gesamten Studie mehr Profil zu verleihen, wirft Koopmann im zweiten Kapitel einen Blick auf Goethes Briefwechsel mit Auguste Gräfin zu Stollberg, den er überzeugend als zeittypische Seelenoffenbarung im Zeichen von Empfindsamkeit und Werther-Nachfolge charakterisiert. Dadurch gewinnt der Briefwechsel mit Charlotte von Stein ungeheuer an Glaubwürdigkeit. Dass der Briefwechsel monologischer Art ist, verwundert angesichts der fehlenden Briefe von Charlotte keineswegs. allerdings läuft man Gefahr, auch die Beziehung von Goethe zu Charlotte als monologisch anzusehen. Sicher war der um sieben Jahre jüngere die treibendene Kraft, aber er wird mit Sicherheit im Laufe der Zeit auf ähnliche Gefühle, wenn auch sicherlich etwas zurückhaltender, bei Charlotte gestoßen sein.
Koopmann verfolgt präzise diese für Goethe wie für die Literatur besondere Beziehung. Bis zum Bruch bei Goethe Rückkehr aus Italien 1788 widmet der Autor jedem Jahr ein eigenes Kapitel. Mit feinem Gespür verzeichnet er Momente tiefster Zuneigung und Phasen der Abkühlung und Distanz. Einen etwas angestrengten und daher wenig überzeugenden Eindruck bekommt der aufmerksame Leser, wenn er feststellt, dass in beinahe jedem Kapitel bis zur Abreise Goethes nach Italien jeweils von Höhepunkten, von Goethe selbst nicht übertroffenen, immer neuen Gipfeln des sprachlichen Ausdrucks die Rede ist. Doch davon sollte man sich nicht anhalten lassen, dieser Studie zu folgen, die anhand reichlicher Auszüge aus Goethes Briefen, Werken und anderen Quellen den Verlauf der Beziehung eindrücklich nachvollzieht.
Elf Jahre sollte Goethes Beziehung zu der sieben Jahre älteren, verheirateten Hofdame dauern. Das gesamte erste Weimarer Jahrzehnt von Goethes Ankunft 1775 bis zu seiner Flucht nach Italien am 3. September 1786. Elf Jahre, in denen sich Goethe von dem jungen, ungestümen Stürmer und Dränger, der zusammen mit dem Herzog und ein paar anderen jungen Männern den Hof von Weimar zum großen Verdruss der alteingesessenen Gesellschaft mächtig durcheinanderwirbelte zu einem Mann, der der Gesellschaft und den Amtsgeschäften überdrüssig war und seinen einzigen Ausweg in der Flucht sah, entwickelte.
Der Frage, die natürlich am meisten interessiert, ob denn da mehr war als aus heutiger Sicht harmlose Zärtlichkeiten, weicht Koopmann nicht aus, allerdings bekommt man von ihm kein klares „Ja“ zu hören. Er ist sich sicher, dass die beiden sich an den unzähligen Abenden, an denen sie allein miteinander waren, mehr getan haben als nur Konversation zu betreiben. Und in der Tat legen manche Briefe das auch nahe.
Immerhin muss Koopmann vor der Frage kapitulieren, was es denn nun gewesen sei, das Goethe so lange an Charlotte fasziniert hat. Zwar kann er die dunklen Augen nennen, von denen Goethe oft sprach, und von deren Schönheit die wenigen Stiche, die von Charlotter erhalten sind, nur ein sehr blasses Abbild geben, aber das scheint ihm etwas wenig zu sein. Einen anderen, tieferen Grund für Goethes Liebe findet er nicht. Gott sei dank, denn was wäre die Liebe, wenn ein emeritierter Literaturprofessor sie erklären könnte?
Man wird Goethes Werke aus dieser Zeit nach der Lektüre diese Buchs etwas genauer lesen, denn die Liebe zu Charlotte findet auf vielen direkten und indirekten Wegen Eingang in das Werk des Dichters. Denn genau darin liegt die Bedeutung dieser Liebe für uns. Dass sie uns Einblick gewährt in die bisweilen verschlungenen Pfade, auf denen das Leben in die Dichtung hinüberreicht.

Stein des guten Glücks oder Polarität und Steigerung

Am 5. April 1777 schrieb Goethe in sein Tagebuch: „ἁγαθη τυχη [Agathe Tyche] gegründet!“ An diesem Tag stellte er im Garten seines 1776 erworbenen Häuschens im Park an der Ilm einen einfachen Sandsteinquader auf, auf dem sich eine Kugel befindet. Gewidmet ist dieses Denkmal eben der Tyche Agathe. Tyche ist die antike Göttin des guten oder bösen Schicksals, kurz des Zufalls. Viele Städte huldigten ihr. Gerade die abstrakte Form des Denkmals, welches auch als „Altar des guten Glücks“ bezeichnet wird, verweist auch ohne die Widmung auf die launische Göttin. Im Altertum wurde Tyche oft auf einem Rad oder einer Kugel dargestellt. Symbol für die Wechshaftigkeit, Unbeständigkeit ihrer Gunst und damit zugleich ein stiller Hinweis auf die mögliche Vergeblichkeit des dargebrachten Opfers. Im Unbeständigen liegt ihr Wesen.
Für sein Denkmal kombiniert Goethe die Kugel mit einem weiteren geometrischen Objekt, mit einem Quader. Die Kugel ruht auf dem Quader. Er steht für Ruhe, Beständigkeit, Verlässlichkeit, Ausgeglichenheit, während die Kugel das Unbeständige, die rast- und ruhelose Bewegung, allgemein das Wechselhafte in der Welt darstellen soll. Der Stein des guten Glücks zeigt uns die Kugel in Ruhe auf dem Quader verharren, wie es die Natur eines Denkmals als statisches Gebilde naturgemäß fordert. Auf den ersten Blick erkennt der Besucher des schönen Gartens, in dem das Denkmal bis heute steht, dass hier zwei sehr unterschiedliche, wenn nicht gar entgegengesetze Dinge begegnen. Gerade Ebenen und scharfe Kanten des Quaders treffen auf die vollkommene Form der Kugel. Beständigkeit und Ruhe treffen auf das Unstete und Wechselhafte. Festigkeit, Standhaftigkeit auf das rastloses Getriebenwerden wechselnder Begierden und launisches Glück.
Aber nicht die Auflösung beider Pole im Moment ihres Zusammenfalls soll das Denkmal anzeigen und somit auf einen der Welt enthobenen Zusatnd der Existenz des Menschen verweisen. Im Moment der Begegnung des Gegensätzlichen entsteht etwas Neues, das über der Dialektik der Polarität steht. In der Synthese verbinden sich die Gegensätze zu einem Höheren. In diesem Denkmal, das in seiner Form so einfach gehalten ist, kann man einen Grundzug nicht nur von Goethes Weltanschauung, sondern vor allem eine fundamentale Grundlage seines Schreibens erkennen, die gerne in den Worten „Polarität und Steigerung“ zusammengefaßt wird.
Das launische Schicksal wird von der ruhigen Beständigkeit begrenzt, diese von jenem belebt und erweitert, so dass aus der Verbindung beider Prinzipien etwas Neues entsteht, was viel mehr ist als die Summe beider Pole: Ein dem äußeren Zufall wie den inneren Dämonen enthobenes Glück, das auf der Basis von Ruhe, Güte und Beständigkeit ein dauerndes Gleichgewicht finden kann. Das Stillstehen der Kugel auf dem Quader macht genau das deutlich.
Goethe ließ dieses Denkmal aus weniger abstrakten Gründen aufstellen. Er sah sein unstetes Dasein, seine leidenschaftliche Emotionalität, sein Getriebensein in der Liebe zu Charlotte von Stein geläutert.
Freilich steckt hier bereits der Kern für ein weiteres Gurndmotiv Goethescher Dichtung verborgen, das ihn der Umgang und die letztlich unglückliche, weil unerfüllte Liebe zu Charlotte von Stein gelehrt hatte: Entsagung.

Iwan zu Ehren

Für den heutigen Tag sei dir als Gruß das 18. Venetianische Epigramm von Goethe zugeeignet:

Eines Menschen Leben, was ist’s? Doch Tausende können
Reden über den Mann, was er und wie er’s getan.
Weniger ist ein Gedicht; doch können es Tausend genießen,
Tausende tadeln. Mein Freund, lebe nur, dichte nur fort!

Wikipedia

Wütend schreibe ich diese Zeilen. Wütend über die Qualität des Wikipedia-Artikels zum Faust II. Wenn ich bedenke, dass heutzutage jeder Schüler zu allererst bei Wikipedia vorbeischaut, wenn er ein Referat oder eine GFS oder sonst etwas zu erstellen hat, dann kann einem richtiggehend schwarz vor Augen werden.
Wenn bei Wikipedia schon Mist steht, wie sollen dann andere, die den bei Wikipedia bereitstehenden Inhalten blind vertrauen, noch sinnvoll damit arbeiten können.
Wikipedia leistet leider dem Rechercheverhalten der meisten jüngeren und nicht mehr so jungen Menschen Vorschub, indem es sofort glaubwürdige Informationen zu liefern scheint. Wer bei Wikipedia etwas gefunden hat, sucht nicht mehr weiter. Blind werden Inhalte übernommen, ohne sich die Zeit zu nehmen, sie selbst gedanklich zu durchdringen. Das gilt natürlich nicht allein für Wikipedia, das gilt, und das ist umso bedenklicher, auch für das übrige Netz.
Da ich Wikipedia aber für ein herausragendens Experiment mit kaum zu überschätzender Bedeutung für die gesamte Organisation der Wissensbestände der Menschheit halte, fordere ich hiermt alle, die hierauf stoßen auf, sich im Rahmen ihrer Kenntnisse bei Wikipedia zu beteiligen.
Ich folge meinem eigenen Appell und habe mich entschlossen, an dem Artikel zu Goethes Faust II mitzuarbeiten. Der Abschnitt zur ersten Szene des 5. Aktes stammt von mir.
Ich schließe, ein wenig beruhigt, mit der Bitte, mich mit Kritik bezüglich der Wikipedia-artikels nicht zu schonen.

Lotte in Weimar 2. Teil

Der Roman ist ein Gesellschaftsroman in bester Dostojewski`scher Manier. Ausgedehnte, geschliffene Dialoge, präzis gezeichnete Figuren, wie man das von Mann ja schließlich auch gewohnt ist. Der Höhepunkt mag den Leser vielleicht enttäuschen, Goethe und Lotte verkehren nur im Rahmen eines gut besuchten Mittagsessens miteinander, von Goethe genau zu dem Zweck eingerichtet, um nicht mit der alten Freundin die alten Zeiten heraufbeschwören zu müssen.
Man mag sich dafür im letzten Kapitel entschädigt sehen, als Lotte in Goethes Kutsche auf dem Heimweg vom Theater diesen halb wach halb träumend neben sich sitzen fühlt. Im Reich des Imaginären findet dann das von Lotte (und auch vom Leser?) erwartete Gespräch in beinahe intimer Vertrautheit statt. Allerdings erscheint der alte Freund in diesem Gespräch nur durch seine eigenen Werke vermittelt, ein Zeichen für die unüberbrückbare Distanz zwischen beiden. Goethes Person ist hinter seinem Werk verschwunden, er ist, wie er es auch selbst einmal gesagt hat, sich selbst historisch geworden.
Dasselbe gilt für Lotte allerdings in eher tragischem Sinne. Von ihrer Umwelt auf die Lotte Werthers reduziert bleibt ihr nichts anderes übrig als gerade in der literarischen Person sich selbst zu manifestieren. Gelegentliche Verweise auf ihr mehr oder weniger erfülltes Leben, ihre reale Existenz, sind als verzweifelte Auflehnung gegen die Tendenz der literarischen Legendenbildung zu werten.

Lotte in Weimar

Nicht allein aus beruflichen Gründen habe ich in den letzten Wochen zur Entspannung Thomas Manns Roman „Lotte in Weimar“ gelesen, sondern vor allem deshalb, weil ich den Ton Manns vermisst habe.
Dieser Roman gehört sicherlich nicht zu seinen größten, aber er ist, vor allem für einen, der sich mit Goethe beschäftigt, doch ein spannendes Kleinod. Thomas Manns Talent und seine Freude an der leisen Ironie wird man sofort gewahr, sobald man auf den ersten Seiten dem unterwürfig servilen Hotelangestelten Mager in Berührung begegnet, der in seiner, dem Ort angepassten literarischen Schwärmerei, Lotte ein ums andere Mal auf die Nerven geht.
Höhepunkt des Buches ist in meinen Augen nicht das Essen, bei dem dann die beiden alten Freunde nach 40 Jahren wieder aufeinandertreffen, sondern vielmehr der ausgedehnte innere Monolog des Olympiers im 7. Kapitel. Nur einem Goethe ist der Ton dieses Monologes zuzutrauen, von daher hat ihn Thomas Mann auch korrekt gestaltet. Wer sich schon ein wenig mit Goethe beschäftigt hat, wird einiges wiedererkennen, was er in Briefen, Dichtung und Wahrheit, Eckermanns Gesprächen (auch wenn diese erst Jahre später einsetzen) und nicht zuletzt in zahlreichen großen und kleinen Werken gelesen haben mag.
Innerhalb dieses Kapitels beeindruckt vor allem der angesichts eines bevorstehenden Maskenumzugs in eine Art kreativen Rausch verfallende greise Dichter, der einen Plan des „barocken“ Maskenfests im ersten Akt seines Faust 2 imaginiert, während Sohn August unverständig auf die Undurchführbarkeit des vom Vater vorgestellten hinweist. Das Beispiel erinnert an eine Stelle aus den Gesprächen mit Eckermann, in der der treue Freund überliefert, wie Goethe aus dem Stegreif den Plan der Oper „Moses in Ägypten“ von Rossini nicht nur kritisiert, sondern entwirft auf der Stelle einen neuen: Goethe fuhr fort mit großer Heiterkeit die ganze Oper Schritt für Schritt durch alle Szenen und Akte auzubauen, immer geistreich und voller Leben, […], und zum freudigen Erstaunen der ganzen Gesellschaft, die den unaufhaltsamen Fluß seiner Gedanken und den heiteren Reichtum seiner Erfindungen zu bewundern hatte.“ (Gespräch vom 7.10.1828).

ist fortzusetzen…

Motto

Es sei diesem weblog als Motto das Lied des Türmers Lynceus aus dem fünften Akt des 2. Teils von Goethes Faust (V. 11288ff.) vorangestellt:

Zum Sehen geboren,
Zum Schauen bestellt,
Dem Turme geschworen
Gefällt mir die Welt.
Ich blick in die Ferne,
Ich seh in der Näh,
Den Mond und die Sterne,
Den Wald und das Reh.
So seh ich in allen
Die ewige Zier
Und wie mir’s gefallen
Gefall ich auch mir.
Ihr glücklichen Augen,
Was je ihr gesehen,
Es sei wie es wolle,
Es war doch so schön!

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