Biosphere – Cirque

Das Schicksal des Aussteigers Christopher McCandless scheint die Menschen nachhaltig zu beschäftigen. So hat sich auf Geir Jenssen alias Biosphere von dem Schicksal Christopher McCandless inspirieren lassen. Das Ergebnis ist dieses Album, das zwar nicht zu den besten Biospherescheiben zählt, aber dennoch tief zu beeindrucken weiß.
Ungewöhnlich für Biosphere ist der Beat, der sonst im Allgemeinen fehlt, hier aber an einigen Stellen seine strukturierende Funktion zurückgewinnt. Ebenfalls auffallend ist die Verwendung von Sprachfetzen in verschiedenenen Sprachen. Hat man erwartet auf diesem Album Naturgeräusche zu hören, so wird man enttäuscht. Dass gerade die Natursamples auf einem Album fehlen, das sich mit dem Schicksal des Aussteigers McCandless in Alaska auseinandersetzt, ist auf den ersten Blick um so erstaunlicher, da Aufnahmen aus der Natur oft auf den Platten von Biosphere verwendet werden. Ja es gibt sogar ein Album, das nur aus arrangierten Geräuschen besteht, aufgenommen im Zusammenhang mit Geir Jenssens Trip in den Himalya.
An einigen Stellen, Zum Beispiel gleich zu Beginn, meint man Nauturaufnahmen zu hören. Allerdings handelt es sich hierbei um künstliche erzeugte Klangbilder, die die Natur lediglich nachahmen sollen. Vielleicht noch nicht einmal das, sondern in ihrer Künstlichkeit lediglich auf die Natur verweisen. Überhaupt ist das Verhältnis von Natur und Kunst auf dieser Platte das zentrale Motiv. Vor diesem Hintergrund sind die diversen Spachsamples zu sehen, die eine recht große Variation aufweisen. Von Fetzen aus Telefongesprächen über Regieanweisungen bis hin zu monologischen Wiederholungen komponierter Satzstrukturen, die in beinahe Verscharakter bekommen.
Die Stellung des Menschen zwischen Natur und Kultur ist das Hauptthema der Platte, Nur so kann sich das Grundmotiv zu einem quasi-tragischen Moment weiterentwickeln. Das Verhältnis von Kultur und Natur ist nur dann überhaupt von Interesse, wenn versucht wird, den Menschen innerhalb dieses Spannungsverhältnis zu verorten und genau dieser Versuch ist hier unternommen.
Die Platte zeichnet den letzten Lebensabschnitt McCandless nach, allerdings nur in einem punktuellen Herausgreifen einzelner Stationen. Dass diese Wegmarken vielmehr innerer Natur sind, darf man aus der Tatsache schließen, dass die Musik mit zunehmender Dauer immer dunkler und bedrohlicher wird. Die Titel der einzelnen Stücke stützen das. „Too fragile to walk on“ heißt das letzte Lied.
Je weiter der Aussteiger sich von der Zivilisation entfernt, desto dunkler wird sein Schicksal, was nicht heißt, dass die ersten Partien der Platte fröhlich klingen. Im Vergleich mit den letzten Stücken der Platte erzeugen sie aber immerhin den Eindruck einer zum Überdruss gewordenen Gewöhnung an die materielle Kultur. Gerade die ständig wiederholten Sprachsamples untermalen diesen Eindruck. Die dialektische Struktur der Liedtitel (z. B. Black lamb & grey falcon; Moistened & dried; Algae & fungi) transformieren das Grundmotiv zu einer Beschreibung der Möglichkeiten der Existenz des Menschen in Angesicht Natur, die ihren eigenen Gesetzen gehorcht und außerhalb der Kultur absolute Anpassung an ihre Gesetzmäßigkeiten fordert. Dazu rücken die dialektischen Liedtitel die innere Reise von McCandless zunehmend in ein mythisches Licht. Der Weg des Aussteigers führt aus der hochtechnisierten, der Natur weitgehend entrückten Zivilisation zurück in das mythische Reich einer mystischen Vereinigung des Menschen mit der Natur. Seinen dramatische Höhepunkt findet die Platte im neunten und zehnte Lied, die den oben erwähnten Beat auf eine für Biosphere ungewöhnliche Art und Weise in den Mittelpunkt rücken.
Man darf in diesem beiden Stücken McCandless Ankunft in der Wildnis erkennen, die Etablierung seines Stützpunkts in jenem alten Bus. Die vergleichsweise Heftigkeit des Beats spiegelt weniger die Euphorie des Aussteigers an einem Ziel angekommen zu sein als vielmehr das hektische Getriebenwerden, radikal Ruhe- und Rastlose des Aussteigers, der im Umkreis um seinen Bus die für Touristen (?) angelegten Notplätze verwüstet, um sich auch von den letzten Resten der Zivilisation abzuschneiden.
McCandless stirbt (ob an Hunger oder an einer Vergiftung ist letztlich nicht von Bedeutung) schließlich, nachdem er einige Monate allein, ohne Kenntnisse der Wildnis, ohne nennenswerte Ausrüstung im eisigen Alaska überlebt hat.
Diese Platte ist ein weiteres Zeugnis dafür, dass die Geschichte von Christopher McCandless das Zeug hat, zu einem postmodernen (ich entschuldige mich für die Verwendung dieses Begriffs) Mythos zu werden. In tragischer Weise zeigt uns sein Schicksal, das keinerlei romantische Verbrämung erlaubt, dass der Prozess der Zivilisation den Menschen (abgesehen von einigen Naturvölkern) vollständig vereinnahmt und ihn von seinem einstigen Umfeld, das er immerhin die weitaus meiste Zeit seiner genotypischen Entwicklung bewohnt hat, vollständig abgeschnitten hat. Wir können nicht mehr zurück zur Natur, nur mit hohem Aufwand ist dies für begrenzte Zeit möglich. Wir sind Sklaven unserer eigenen Kultur, die uns so beherrscht wie es einst die Natur mit uns tat. Kultur als die Möglichkeit den Menschen aus seiner naturräumlichen Umklammerung zu befreien ist umgeschlagen in eine erneute vollständige Abhängigkeit des Menschen von der selbst erschaffenen Kultur. Eine Flucht aus der Zivilisation zurück in die Natur ist, wie uns das Beispiel von Christopher McCandless zeigt und die vorliegende Platte eindrucksvoll unterstreicht, nicht mehr möglich. Dort erwartet den Aussteiger nur noch der Tod.

Biosphere – Autour de la lune

Wer am 23. März 2001 von den Fidschi-Inseln aus in den Himmel sah, der konnte es sehen. Gegen sieben Uhr in der Früh verglühten über dem Pazifischen Ozean die Überreste der russischen Raumstation Mir. Vielleicht ging damit in der Geschichte der bemannten Raumfahrt ein besonderes Kapitel zu Ende, dessen Fortsetzung in Form der ISS um die Erde kreist, es muss aber auf jeden Fall ein schöner Anblick gewesen sein.
Wer schon mal eine Sternschnuppe gesehen hat, und ich hoffe, jeder hat das schon einmal, der weiß wovon hier die Rede ist. Diese Sternschnuppe allerdings war menschlichen Ursprungs. Von Menschen zusammengesetzt, ins All geschossen, schließlich von Menschen kontrolliert abgebremst und zu Sternschnuppe gemacht. Wie weit es der Mensch doch gebracht hat.
Die Platte hat ihren Namen von dem ebenso betitelten Roman von Jules Verne. Zu deutsch: „Reise um den Mond.“ Diese Fortsetzung des Romans „Von der Erde zum Mond“ beschreibt schließlich die tatsächliche Reise zum Mond, die allerdings zu einer Reise um den Mond wird, während der erste Teil sich hauptsächlich den Vorbereitungen widmet. Interessanterweise stürzt das Projektil, in dem die Raumfahrer von Jules Verne zum Mond geschossen werden, bei der Rückkehr ebenfalls in den Pazifik.
Möglicherweise hat sich der Norweger Geir Jenssen, der hinter Biosphere steckt, von dieser Koinzidenz dazu inspirieren lassen, Geräusche und Töne aus der Mir in seiner Interpretation von Jules Vernes Roman zu verarbeiten.
Drei Quellen vereinen sich hier zu einer der extremsten Ambient-Platten:
Aufnahmen aus der Mir-Raumstation, Material aus dem französischen Hörspiel, sowie eigenen Kompositionen Geir Jenssens.
Allein das erste Stück „translation“ dauert 21 Minuten und bietet fast durchgehend einen einzigen Ton, der nur selten einmal unterbrochen oder verzögert wird, quasi einen kleinen Umweg macht, wie Licht, das sich in der Nähe einer Schwerkraftquelle krümmt. Nur um wenige Hertz schwankt der Ton um seine Mitte und bildet somit ein Signal, das seinen Empfänger sucht. Gleichzeitig dient er als Leitstrahl, der den Kurs bestimmt.
So eintönig dieses erste Stück auch klingen mag, es weist dennoch einen nicht zu überhörenden Variantenreichtum auf, der sich allerdings nur dem wirklich aufmerksam Zuhörenden erschließt. Die große Kunst Geir Jenssens zeigt sich in diesem Stück am vollkommensten: größtmögliche Varianz auf kleinstem Raum. Durch diesen Minimalismus weitet sich der Klangraum des Stücks unermesslich.
Die beiden folgenden Stücken „rotation“ und „modifié“ haben kommunikativen Charakter. Antwortet in jenem ein pulsierender Bass einer hohen, klirrenden, entfernt an Glockenspiel erinnernden Sequenz, so gewinnt das andere Stück seine Spannung aus einem grauen Rauschen, in dem man ganz hinten eine verbogene menschliche Stimme zu vernehmen glaubt. Text ist nicht zu verstehen, vielmehr verbiegt sich die Sprache zu einer an eine Melodie erinnernde Tonfolge.
„Vibratoire“ macht seinem Namen alle Ehre. Wer hier seine Anlage zu leise laufen lässt, hört nichts. Der grummelnde Bass schwillt in einem gemächlich regelmäßigen Wehchsel an und ab, als tue er das bereits seit Äonen.
War die erste Hälfte der Platte von hohen signalhaften Tönen dominiert, so gewinnen ab hier die extrem tiefen, fast unhörbaren Bässe die Oberhand, ohne aber je aufdringlich zu wirken. Sie bewegen sich auf ihrer Umlaufbahn in ewig stillen Kreis. Diese kosmische Ordnung scheint hier fühlbar zu werden. Aus dem tiefen Ringen des Bass steigen immer wieder hohe leise Tonfolgen auf, die in ihrer meditativen Wiederholung das kosmische Gefüge der Bässe konstrastieren und in ihrer Signalhaftigkeit den möglicherweise sinnlosen Versuch des Menschen markieren, sich in der ihn umgebenden weiten Dunkelheit zu orientieren und sie zumindest teilsweise zu durchdringen.
Diese Platte versucht mit Hilfe der Technik, bzw. künstlicher, mittelbar und unmittelbar vom Menschen erzeugten Tönen und Geräuschen die Grenzen der Musik auszuloten. Bisweilen, wie in 6. Stück, ist diese Grenze mit Sicherheit unterschritten. Das aber macht den Reiz von „Biosphere“ aus. Kunst als Versuch die Grenze zum Nicht-mehr-darstellbaren zu beschreiben. In diesem Sinne ist es nur ein kleiner Schritt zur Lyrik, zur Malerei oder zu anderen Ausprägungen von Kunst. An der Grenze dessen, was die jeweilige Disziplin mit ihren Mitteln darstellen kann, findet man vielleicht auch die skurrilsten Blüten der jeweiligen Zunft, mit Sicherheit aber ebenfalls einige der bedeutensten.

Schmoov – While you wait

Manch einer würde diese Art von Musik „Fahrstuhlmusik“ nennen. Wenn ich einen Aufzug finden sollte, in diese Platte läuft, dann müsste mich der Sicherheitsdienst am Abend mit Gewalt aus dem Lift zerren. Keine schwermütig melancholischen Klangteppiche wabern auf einen zu, sondern eine gefällige Verbindung aus Funk und House. Keine experimentellen Sound wird man hören, sondern gut auf einander abgestimmte Melodien, dezente Soundeffekte und einen stets präsenten funkigen Bass. Doch der Funk bestimmt die Platte nicht. Manchmal scheint die Musik in einen gezuckerten Bossa Nova abzudriften, wie in „Aqua Marina“, bis ein klares Saxophon dem Jazz zu seinem Recht verhilft. „The girl from Ipanema“ bleibt allein am Strand. Eher eine Homage an Stan Getz also als an Rio de Janeiro.
Dass mindestens einer der drei Engländer früher mal in einer Funkband gespielt hat, ist dennoch deutlich zu hören, wenn auch der Jazz in der zweiten Häfte der Platte mehr Raum einnimmt.
Ohne je aufdringlich zu wirken, schiebt sich diese Musik zwischen uns und die Welt. Wie eine Scheibe bunten Glases, die das ewig graue Licht wie den immergrauen Lärm um dich herum filtert und nur das durchlässt, was du nicht bestimmen kannst aber dennoch willst. Die Welt um dich herum wird sicher nicht bunter durch diese Musik, aber der graue Dreck des Tags eben auch nicht grauer.
Vielleicht wirst du die Augen zumachen wollen, wenn du am Bahnhof stehst, auf den verspäteten Zug (kam je einer pünktlich?) wartend diese Platte hörst. Vielleicht möchtest du dich auf der Musik hinwegträumen, an schönere Orte als diesen Bahnhof, zu netteren Menschen als diesen grauen griesgrämigen Passanten. Tu das nicht! Schau dir die Umgebung an. Leg die Musik über den Lärm des Bahnsteigs und mach die Wartenden zu Sklaven deiner Musik. Schau, wie sie sich gegen Rhythmus und Melodie wehren… Nichts harmoniert mit der Musik in deinem Ohr. Alles außerhalb dieser Harmonie wird lächerlich, schließlich irrelevant. Du trittst einen Schritt zurück von der Welt und erkennst, dass Darinsein kein erstrebenswertes Ziel mehr sein kann. Dein bunter Regenmantel macht dich immun gegen das bleierne Grau um dich herum.
Das Warten auf irgendwas oder irgendwen wäre mir viele Male leichter gefallen, wenn ich dabei diese Platte hätte hören können.

Amon Tobin: Foley room

Nachdem Jackson Pollock eines seiner großformatigen Drip-paintings beendet hatte, fragte er seine Frau, Lee Krasner:“ Ist das ein Gemälde?“
Dieselbe Frage würden wohl einige Leute stellen, die das neue Album von Amon Tobin anhören: „Ist das Musik?“
Und genauso wie Lee Krasner die Frage ihres Mannes positiv beantwortet hat, kann man auch im Falle von Foley room sagen: „Ja das ist Musik, und zwar großartige.“ Das Problem ist nur, Amon Tobins Musik zu beschreiben. Klar, irgendwo könnte man diese Art von Musik Drum `n` Bass nennen, aber das ist nur die halbe Wahrheit. Drum `n` Bass ist nur die Basis dieser Musik. Ihr Wesen ist eine verspielte Kreativität, die sich, im Vergleich mit seinen anderen Alben, in diesem Album am radikalsten Bahn bricht. Unvorsichtige Hörer würden diese Musik als dadaistisch bezeichnen. Allerdings ginge eine solche Bezeichnung in die Irre. Dadaismus ist, wenn er ernst gemeint ist, Anti-Kunst. Anti-Musik aber hört sich anders an. Amon Tobin geht regelmäßig an die Grenzen der Musik, löst Rhythmus, Melodie und Harmonie manchmal auf. Aber tut das der Jazz nicht auch? Und lebt der Jazz nicht auch von der Freude am Experiment, von der Lust Neues auszuprobieren und mit Altem zu verbinden?
Egal wie kluge Leute diese Musik bezeichnen, ich nenne sie Jazz. Sicher, Amon Tobin spielt kein Intrument, er bedient nur seinen Computer, seine Turntables, seinen Synthesizer. Aber nicht das sind seine Instrumente. Das sind nur Werkzeuge, um Klänge zu verändern. Er schöpft seine Klänge nicht aus dem begrenzten Klangspektrum eines herkömmlichen Instruments, vielmehr bedient er sich der Totalität sämtlicher Klangereignisse auf der Welt, sofern diese für das menschliche Ohr hörbar sind.
Hin und wieder unterschreitet er sogar diese Grenze. Auf manch einem Stück der neuen Platte kann man den Bass nicht mehr hören, man kann ihn nur noch fühlen, und selbst das nur, wenn man eine Anlage hat, die diese tiefen Frequenzen wiedergeben kann.
Und aus diesem reichhaltigen, unerschöpflichen Meer von Klängen erschafft er eigensinnige, atmosphärisch dichte Musikstücke, genauso wie Pollock auf bekanntem Material Bilder erschuf, die chaotisch wirken, und dennoch komponiert sind.
Pollock wurde von einem Kritiker vorgeworfen, er male zu wenig nach der Natur. Darauf antwortete er erbost: „Ich bin Natur!“
Das gilt auch für dieses Album.

Seltsam, im Nebel zu wandern!

Trentemöller – The last resort
Das Cover erinnert an Hesses Gedicht „Im Nebel“ und die Musik auf diesem Album ist der ideale Soundtrack dafür. Dunkel und melancholisch klingt es, nur vielleicht nicht ganz so verzweifelt wie das Gedicht.
Der Bass ist die Grundlage, auf der nicht nur dieses Album steht.
Darüber liegt meist ein harmonischer Teppich einfacher Melodien, dem Hörer Halt gebend, wenn sich der minimalistische aber facettenreiche Vordergrund manchmal bis an die Grenze zur Disharmonie vorwagt.
Stimmen hört man kaum, auch wenn das erste Stück anderes nahelegen mag. Jenes erste Stück ist gleichzeitig auch das traditionellste, stellenweise leicht an Faithless erinnernd. Im Verlauf das Albums entfernt sich die Musik immer weiter von gewohnten Ufern hinaus aufs offene Meer des Experimentellen. Dieses Album ist ein eindrucksvoller Beweis dafür, dass die elektronische U-Musik die wahre Erbin der klassischen E-Musik ist (von der modernen E-Musik möchte ich erst gar nicht reden). Dass ein so „trist“ klingendes Album von einem Dj aus dem skandinavischen Dänemark stammt, wird kaum einen verwundern.
Hermann Hesse würde dieses Album gefallen haben:
“ Wahrlich, keiner ist weise,
Der nicht das Dunkel kennt,
Das unentrinnbar und leise
Von allen ihn trennt.“
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