Wir haben es drei mutigen Männern zu verdanken, dass sie das vielfältige Schaffen von Arnold Hau einem breiten Publikum zugänglich machten. Hau gehört zu den großen Unbekannten, zu den Nicht-vergessenen, denn niemand der Kulturschaffenden nahm ihn wahr. Hau wirkte im Verborgenen und es ist durchaus ungewiss, ob er mit dieser Herausgabe seiner Werke einverstanden gewesen wäre. Aber hat nicht auch Max Brod den Wunsch seines Freundes Kafka, seine Werke zu vernichten, nicht erfüllt, zum höheren Wohle der menschlichen Kultur und zum Leidwesen vieler Gymnasiasten? Manchmal fehlt einem Künstler eben die Distanz zum eigenen Werk.


Gut, dass es Menschen wie Brod gibt, die Kafkas Werk erhalten haben, oder eben Männer wie Gernhardt, Bernstein und Waechter, die in mühsamer Sammeltätigkeit die verstreuten Schriften von Hau in einem schmalen Band versammelt haben. Dieser Band erschließt das vielfältige schriftstellerische und künstlerische Werk Haus und ermöglicht so zum ersten Mal einen Blick auf die zentralen Motive und Problemkreise seines Schaffens. Ergänzt durch biographische Anmerkungen lässt sich auf diese Weise der Schaffensprozess Haus, seine Dichtung im Rahmen des biographischen Schicksals beobachten. Die kreative Vielfalt beeindruckt: Drama, Gedicht, Erzählung, Zeichnung etc. Auf vielen Gebieten der Kunst war Hau zuhause, immer gab er der Qualität rücksichtslos den Vorzug vor der Quantität. Das mag den geringen Umfang des Werks ebenso erklären, wie die gedankliche Tiefe und die künstlerische Meisterschaft der einzelnen Stücke. Als besonderes Highlight bringen die Herausgeber seltene Aufnahmen von Hau. Sie geben dem Publikum ein Bild von Hau. Wie unzeitgemäß Haus Werk ist, mag ein Beispiel zeigen. 1942 entstand unter prekären privaten Umständen (die berühmte Überschwemmung Andorras) das Drama „Lang lebe Gustav Adolf!“ Das „mäßige Halbdunkel“ des Dramenbeginns lässt auf eine Adaption der Goethischen Farbenlehre schließen, wonach die Farben aus einem Bereich des Indifferenten (bei Goethe ist das das Trübe“) entstehen. Aktion, Leben, Tat haben ihren Ursprung im Unbestimmten. Aus dieser Dämmerung heraus wird die Szene sichtbar, die von einer Brechtschen Schlichtheit und Unbarmherzigkeit das Feld vor der brennenden Stadt Magdeburg zeigt. Drei Geschütze sind zu sehen, ebenso Soldaten, die sie reinigen, später bedienen. Nacheinander werden Schüsse abgegeben, die die tödliche Präzision moderner Waffen antizipieren und markante Gebäude in Magdeburg zerstören. Moderne Zerstörungskraft im Gewande des 17. Jahrhunderts. Was anachronistisch wirkt, erlebt seine Steigerung in der Beobachtung, dass die Soldaten auf eigene Faust handeln, blind, ziellos, wahllos zerstören. Die Entfesselung der neuzeitlichen Millionenheere. Im Anachronismus des Kriegswesens zeigt Hau die Zerrissenheit des Menschen zwischen Schuld und Sühne: das genetische Programm menschlicher Aggression. Petrikirche, Dom und Zeughaus werden zerstört im naiv blinden Wüten der entfesselten, enthemmten Soldateska. Religion und Staat werden gleichermaßen in Mitleidenschaft gezogen. Ein kalter Hauch von Nihilismus durchweht das Drama bis zum Auftritt von Gustav Adolf, der zu seinen Landsknechten in unverständlicher schwedischer Sprache spricht. Hier zeigt sich das Grundproblem der politischen Hermeneutik im Nichtverstehen von Herrscher und Beherrschten im Gewande der westgermanischen Sprachfamilie. Dennoch wirkt das Charisma von Gustav Adolf, wenn auch nur auf den ersten Blick. Einerseits bejubeln die Soldaten ihn und offenbaren somit die problematischer Beziehung von Soldat und Anführer, ein düsterer Hinweis auf Führerkulte und Heldenverehrung als Triebfeder der Zerstörung. Andererseits erkennen die Soldaten, dass die Zeit ihres Anführer bald schon zu Ende sein wird. Die politische Einsicht der Masse ist mächtiger als die Erkenntnis des Einzelnen. Ein klares Bekenntnis zur Demokratie.
Wo hier nur bestimmte Aspekte des Dramas angerissen werden konnten, zeigt sich aber dennoch deutlich die Dichte der Hauschen Schriftstellerei. Eine umfassende Würdigung von Haus Werks steht noch immer aus. Die Herausgabe seiner Werke kann nur ein erster Schritt sein. Nur einmal in seiner Leben stand Hau kurz vor dem Durchbruch als Schriftsteller. Am 19.1.1962 erhielt der schwedische Schlosser Ingard Borgson im südschwedischen Norkoping den Brief eines Unbekannten, in dem der Nobelpreiskommission Hau als möglicher Preisträger vorgeschlagen wurde. Wie dieser Brief in die Hände des schwedischen Schlossers kam, ist bis heute ungeklärt. Es dauerte ganze vier Wochen, bis der Brief nach Stockholm gelangte und von einem Sekretär des Komitees zu den Akten gelegt wurde, wo er in den frühen Achtziger Jahren im Zuge einer Neuordnung des Archivs des Nobelpreiskomitees verschwand. Hau wird es nicht unrecht gewesen sein.


2 Kommentare

lynkeus · 12.02.2012 um 21:57

Lieber Herr Beil,
um die unbestreitbare Größe von Hau zu beweisen, reicht mir der Verweis auf sein Werk. Denken Sie an „Verwirrte Sehnsucht“ des jungen Hau, denken Sie an das ideologiekritische „Trinklied auf die Oktoberrevolution“ oder an den Zyklus „Der Fischer und sin [sic!] Hund“.

lg lyn

Dr. Timo Beil · 10.02.2012 um 12:41

Sehr geehrte Autoren,
ich kann mich ihrer Auffassung bezüglich des literarischen Ranges von Arnold Hau nicht anschließen. Für mich sind Waechter, Gernhardt und Bernstein keine mutigen Männer, sondern Apologeten des schlechten Geschmacks, die einer Verrohung und Verwilderung der abendländischen Kultur bewusst Vorschub leisten. Ein Dichter wie Hau ist nicht umsonst vergessen. Er sollte vergessen bleiben, denn er ist eine Gefahr für eine Jugend, die ohnehin weltanschaulich und kulturell verwahrlost ist. Haus Ideen, als konstruktivistischer Idealismus getarnt, wirkten zerstörerisch auf den sozialen Frieden in diesem Land. Ich kann eine positive Rezension seines von manchen weit überschätzten Werkes nicht gut heißen.

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