Frédéric Moreau ist ein junger Mann, der zu einigen Hoffnungen Anlass gibt. Gut ausgebildet und mit ein wenig Vitamin B ausgestattet darf es durchaus als wahrscheinlich gelten, dass er im Frankreich der 1840er Jahre seinen Weg machen wird. Der Leser begegnet ihm in genau dieser Situation. Allerdings lernt er auf der Heimreise in die Provinz die Ehefrau eines durchtriebenen Geschäftsmannes kennen und verliebt sich in sie. Diese Frau, Madame Arnoux, ist es, um die seine Gedanken in der Zukunft kreisen und dieser unerfüllbaren Liebe ist zu einem Gutteil sein Versagen anzulasten.
Moreau ist ein Mann großer Pläne, darin vielleicht allen jungen Menschen ähnlich, die die Kraft, den Willen und die Fähigkeit in sich spüren, den Dingen ihren Stempel aufzudrücken. Die Zeit, in der sich Moreau und seine Altergenossen bewegen, scheint den Wünschen und Hoffnungen der jungen Menschen entgegen zu kommen, denn es ist eine Zeit des gesellschaftlichen Umbruchs, der sich immer mehr beschleunigend in Jahre 1848 seinen Höhepunkt findet. Vieles, ja alles scheint möglich. Und so sind die Pläne des Protagonisten und seiner Freunde und Bekannten ebenso ehrgeizig und groß wie bunt. Der eine setzt auf Politik, der andere auf eine Karriere in der Wirtschaft, Pellerin auf die Kunst, Moreau mal auf das eine mal auf das andere. Das genau ist Moreaus großes Problem. Er ist schnell dabei einen Plan aufzustellen, aber leider besitzt er nicht die nötig Geduld, Hartnäckigkeit und Konzentration, um auch nur einen davon in die Tat umzusetzen. So beschließt er sein Leben als alternder Jungeselle in bescheidenen Verhältnissen. Sein zwischenzeitlicher Reichtum fällt zum einen einer dandyhaften Verschwendungssucht zum Opfer, der keinerlei Einkünfte durch eigene Arbeit entgegenstehen, zum anderen seinen oft gut gemeinten aber unvorsichtigen Investitionen zugunsten einiger befreundeter Damen und Herren.
Letztlich ist Moreau unfähig zu handeln, unfähig zu entscheiden und nicht in der Lage, sich durchzusetzen. Er weiß selbst nie genau, was er will, er ist beeinflussbar wie vielleicht jeder jungen Mensch bis zu einem gewissen Grad.
Seine Pläne werden stets durchkreuzt. Drei unterschiedliche Instanzen hemmen Moreau in dieser Hinsicht: die unberechenbaren Wechselfälle des sozio-politschen Umfelds, die Menschen in seinem Umfeld und letztlich seine eigene Persönlichkeit, seine Unfähigkeit, eine Sache zu verfolgen und zu Ende bringen. Er will alles und das gleichzeitig. Er liebt Mdme Arnoux, kann aber von der „Prostituierten“ Rosanette nicht lassen und steigt gleichzeitig, Reichtum und Einfluss im Sinn, der edlen Madame Dambreuse nach und möchte auch noch die naive, aber in ihren Gefühlen stets ehrliche Louise Rogent, das typische Mädchen vom Lande, heiraten, mehr um sie nicht zu enttäuschen als aus Liebe zu ihr. Eine reist ihn immer von der anderen weg, oft gerade dann, wenn er sich kurz vor seinem Ziel glaubt.
So jagt er seinen Plänen und Leidenschaften hinterher, oft auch denen seiner Bekannten und Freunde unter denen sich Personen jeglichen Standes und jeglicher politischer Couleur finden, versucht es allen recht zu machen und erreicht nur kurzfristig etwas, das er mit Erfolg verwechselt: das vorübergehende Abnehmen dieser Verpflichtungen und das kurzweilige Glück bei einer der Frauen. Er ist also, wie Jules Barbey d’Aurevilly in seinem großartigen Verriss schreibt, eine „Marionette der Geschehnisse“.
Der Titel mag in die Irre führen, denn selbst wenn es eine solche „Erziehung“ gäbe, bestünde ihr Ziel in einem recht indifferenten Hinweis auf das Motiv der Entsagung.
Und vielleicht äußert sich eben gerade darin die Meisterschaft Flauberts, den man gerne als einen Realisten bezeichnet, dass dieser Roman, im weiteren Sinne als Bildungsroman zu betrachten, und die Welt, die in diesem gestaltet wird, eben keinen als vorbildlich zu erkennenden Weg anbietet und somit von einer beinahe schockierenden Offenheit ist, vor allem vor dem Hintergrund der zeitgenössischen Romanproduktion in der frühen zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Sinnstiftende Instanzen sind verloren, das Individuum noch nicht in der Lage diese Lücke durch das Absolutsetzen der eigenen Individualität zu füllen. In diesem Sinne wäre der Roman als protomoderner Antibildungsroman zu bezeichnen. Dass Flaubert ein grandioser Erzähler ist, dessen behutsame Liebe zum Detail frühe Krititker dazu veranlasst hat, ihn einen Materialisten zu nennen, muss nicht eigens erwähnt werden. Die Übersetzung aber, ob gut oder schlecht kann ich nicht beurteilen, und die darin zu ahnende Schönheit der Sprache Flauberts sollte einen dazu ermutigen, seine Französischkenntnisse aufzufrischen.


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