Erst nach einer Weile begannen die Männer zu begreifen, was da eben vor sich gegangen war. Der Marokkaner war weg. Abgehauen mit seinen Freunden in der kleinen weißen Yacht, die so elegant durch die Wellen schnitt. Am Bug lag seine blutige Taschenlampe, ein mit Schweiß, Speichel und Blut verdrecktes Zepter seiner Herrschaft. Ein schwarzer Beweis für seinen Verrat, kullerte die Taschenlampe im Bug hin und her.
Keinem der Männer war jetzt noch übel. Jeder der Männer fluchte in seiner eigenen Sprache und einer verstand den anderen in seiner Wut. Keiner der Männer wusste, was zu tun war. Kein Segel, kein Motor, kein Paddel an Bord.
Panik brach aus. Sie schrien und schlugen sich gegenseitig auf der Suche nach einem Ausweg. Als der erste über Bord ging, war es für einen Moment still. Dann riefen sie ihm nach, streckten ihre Hände nach ihm aus, fanden ihn nicht mehr, setzen sich wieder. Heftige Blitze schickten für Augenblicke weißes Licht über das schwarze Meer. Dann konnte man für einen Moment das Festland sehen. Da vorne lag es. Einer sah es, stand auf, zeigte hinaus aufs tosende Meer und rief. Europa! Die nächste Welle nahm ihn mit. Mit den bloßen Händen versuchten sie in Richtung Land zu paddeln. Man kann es schon sehen. Dort hinten. Nur noch ein kurzes Stück. Vielleicht eine Stunde, vielleicht weniger. Ihre in der Angst keimende Hoffnung trieb sie an, gemeinsam, ein letztes Mal. Sie kamen dem Land nicht näher. Im Gegenteil, es schien, als entfernten sie sich sogar davon. Der Sturm zog sie raus auf das offene Meer. Einer, der ganz vorne saß, stand auf. Er sprang einfach über Bord. Vorher rief er den anderen lachend etwas zu, das keiner verstand. Ihm folgten weitere. Manch einen sah man noch eine Weile lang, von den Wellen emporgehoben. Nur wenige konnten schwimmen. Die blieben sitzen. Endlich warf der Sturm das Boot um. Es kenterte und trieb kieloben im schwarzen Wasser. Zwölf Mann begrub es unter sich und gab sie nicht mehr frei. Was übrig war schrie. Sie klammerten sich aneinander. Zogen sich an dem anderen nach oben. So zog einer den anderen hinunter. Sie schluckten Wasser, schlugen wild um sich und versanken schließlich. Noch eine ganze Weile sah man den einen oder anderen, der schwimmen konnte, in Richtung Land schwimmen. Aber das Meer zog sie davon. Keiner von ihnen kam nach Europa.
Von den 40 Mann überlebte einer. Am nächsten Morgen trieb er in der friedlichen See, an eine schwarze Planke geklammert. Ein Frachtschiff aus Hamburg zog ihn an Bord. Beladen mit gebrauchten Autos lief es nach Dakar. Dort setzen sie den Mann an Land. Stumm ging er von Bord.

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