Wenn man so ich vor rund vier Wochen zum Nichtstun verdammt ist, und man auf einmal wieder bemerkt, wie viel Zeit einem an einem Tag so zur Verfügung steht, dann sollte man diesen Zustand ein wenig zu genießen suchen. Enthoben dem täglichen Stress, wie aus dem Alltag gefallen. Man sieht, wie alles um einen herum seinem täglichen Plan folgt, die Passanten, die zum Bahnhof eilen, die Straßenbahnen, die mit täglicher Routine ihre Kreise durch die Stadt drehen, der Verkehr, der zuzeiten anschwillt und am Abend wieder abebbt. Man steht dann abseits und das wilde Treiben des Tages rauscht an einem vorbei. Nur so, in der dem Strudel enthobenen Betrachtung, kann einem der sich um sich selbst drehende Alltag überhaupt erst auffallen. Man wundert sich, ist vielleicht sogar am Anfang froh, diesem Stress zumindest für eine Weile enthoben zu sein, auch wenn einem bewusst bleibt, dass man sich in naher Zukunft wieder Kopf über in den Alltag wird stürzen müssen. Nach einer Weile entwickelt man nun seinen eigenen Alltag, seine eigene tägliche Routine, die den Tag den neuen Umständen gemäß einteilt. In diesem Zustand der temporären Enthobenheit vom Alltaf kann man etwas entdecken, das man sonst nur irgendwie durchbringen muss oder froh ist, wenn sie durchgebracht hat: die Zeit.

Thomas Manns Zauberberg ist die ideale Lektüre für eine oben beschriebene Zeitspanne. Das Hauptthema dieses großen Werkes ist meiner Meinung nach die Zeit. Das gilt inhaltlich wie strukturell. Im erzählerischen Experiment, einen jungen Schnösel seiner gewohnten, großbürgerlich geordneten Welt zu entheben und ihn in ein Sanatorium hoch oben in den Alpen zu versetzen, in dem alle gewohnten Kategorien seiner bisherigen Existenz hinfällig sind, wird die Zeit selbst zum Thema.

Dieser Roman ist eine Apologie der Zeitverschwendung und Settembrini wird nicht müde, das oft anzumerken.

Auch wer nicht unfreiwillig dazu gezwungen wird, aus dem Alltag vorübergehend auszutreten, sollte bei Gelegenheit mal wieder etwas Zeit verschwenden. Wir haben genug davon, wir haben es nur vergessen.


2 Kommentare

Petra Gust-Kazakos · 01.02.2013 um 17:33

Feiner Beitrag! Ich finde ja, man kann seine Zeit gar nicht „verschwenden“, gerade, wenn man die Muße zum Nichtstun hat, oder dazu, endlich nur das zu tun, worauf man Lust hat, ist diese Zeit doch sehr „gewinnbringend“, weil erholsam, eine kreative Pause etc. Es gibt ein gutes Buch von Ulrich Schnabel über die Muße, falls du schauen möchtest, hier (http://phileablog.wordpress.com/2011/02/09/musigganger-flaneure-traumer/) habe ich mal dazu gebloggt.
Viele Grüße
Petra

Nikolaus Fischer · 22.12.2012 um 09:01

Klingt nach Deutschlehrer im Krankenstand ;-)(Falls ja, ich hoffe es ist wieder alles in Ordnung).
Ihre Betrachtungen und die Empfehlung des „Zauberberg“ finde ich richtig gut. Das Buch sollte man gelesen bzw. immer präsent haben.

Kommentar verfassen

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

%d Bloggern gefällt das: