Es gibt gute Lieder. Es gibt gute Filme. Für sich alleine schon Kunstwerke, die nahezu perfekt scheinen. In seltenen Fällen kann durch die scheinbar beiläufige Symbiose aus Musik und Bildern ein eigenes, kleines Kunstwerk in 2:30 entstehen.

1973. San Diego. William ist 15 als seine Schwester auszieht, weil ihre Mutter sie in den Wahnsinn treibt. Als Vermächtnis hinterlässt sie ihm ihre Plattensammlung. Von da an ist er infiziert. Er beginnt die Musik zu lieben und versucht seiner Liebe in Form von Plattenkritiken Ausdruck und Gehör zu verschaffen. Durch einige glückliche Umstände findet er sich schon bald im Tourbus der aufstrebenden Band „Stillwater“ wieder, um für das Rolling-Stone-Magazine einen Tourneebericht zu schreiben.

Manch einer mag sagen, dass der Plot schon jetzt gähnend unglaubwürdig sei – die Realität jedoch, schreibt noch immer die schönsten Geschichten. Cameron Crowe – Drehbuchautor und Regisseur des Films – gibt hier nämlich weitestgehend seine eigenen Erfahrungen wieder, als er im Alter Williams war, und mit nur 16 Jahren seine eigene erste Titel-Story bei eben dieser legendären Zeitschrift hatte; nur dass die Band, die er damals begleitete, die Allman Brothers waren.

Es war die Zeit zwischen dem „Summer Of Love“ der späten 60er Jahre und der aufkeimenden, ständig wütenden Punk-Ära. Es gab unzählige Versuche, diese Zeit in Worte und Bilder oder bebilderte Worte zu fassen, richtig verstehen kann man sie wohl nur, wenn man sie selbst erlebt hat. Und genau hier liegt der Unterschied. Crowe versucht gar nicht erst zu erklären. Er erzählt einfach nur eine Geschichte, wie sie stattgefunden haben könnte. Ohne erhobenen Zeigefinger, ohne unnötige Beschönigungen oder langwierige Ausschweifungen über Sex, Drugs & Rock’n Roll. Man möchte einfach glauben, dass es damals so war, ohne es zu wissen – und noch wichtiger – ohne es wirklich wissen zu wollen.

Dabei hilft ihm die Tatsache, dass er für das zentrale Thema des Films – die Musik der Zeit – einen Großteil des Budgets investierte: Nicht weniger als 50 Titel umfasst der gesamte Soundtrack. Die Songs der Band Stillwater wurden von Peter Frampton und Cameron Crowe selbst und eigens für den Film geschrieben, und reihen sich unauffällig in die Klassiker der Größen der 70er Jahre ein. Es ist schon bemerkenswert, wie die Songschreiber es verstanden, zwischen Black Sabbath, Deep Purple, Iggy Pop, Lynyrd Skynyrd, Led Zeppelin oder Simon&Garfunkel – um nur einige zu nennen – mit Liedern zu bestehen, die 20 Jahre später entstanden und dennoch das Gefühl vermitteln, als gehörten sie in diese Zeit.

Der Film hangelt sich über einer Stunde sehr unterhaltsam bis zu seiner zentralen Szene: Nach Wochen auf Tour spitzen sich die Konflikte in der Band zu, bis der Gitarrist und Star der Band sich auf einer von Fans veranstalteten Party wieder findet. Vom schnellen Erfolg und Drogen benebelt, aber genauso enttäuscht vom Leben, das ihm genau das bescherte, sieht er sich kurz vorm Suizid, während ihm die Partygäste zujubeln, als wüssten sie, dass genau so Legenden geboren werden. Den kindischen und wahnwitzigen Selbstmordversuch überlebt er natürlich. Zurück im Tourbus ist die Stimmung selbstverständlich am absoluten Tiefpunkt. Im Radio läuft Tiny Dancer von Elton John. Ein Lied, welches wahrscheinlich bis dato den meisten völlig unbekannt sein dürfte. Und vielleicht liegt auch genau darin die Magie des Moments. Die Kamerafahrt innerhalb des Busses zeigt tief enttäuschte Gesichter, keiner weiß, ob das bisher erreichte jetzt noch wichtig ist, der gemeinsame Traum scheint zu zerplatzen. Dann aber zeigt sich die stupide Einfachheit der Musik und was sie bewirken kann. Ein simpler Song und die damit verbundenen – oder die dadurch ausgelösten Gefühle, schlagen ins genaue Gegenteil der ursprünglichen Situation um. Erst sacht und leise – spätestens beim Chorus laut und frenetisch – singen alle mit. Alles bisher Geschehene scheint vergessen, nie da gewesen und plötzlich nicht mehr wichtig. Wer als unbeteiligter Betrachter bisher verständnislos zuschaute, wird spätestens beim gehauchten „You are home“ der nicht ganz fiktiven Penny Lane – gespielt von einer fantastischen Kate Hudson – in die Szene gerissen, und kann sich nur unter selbstauferlegten Schmerzen am Mitsingen hindern.

Diese, gefühlt viel zu kurze Szene, verleiht dem Film das gewisse Etwas, um ihn zu einem besonderen Film zu machen. Crowe hat es geschafft, ein Gefühl für die Zeit zu vermitteln, und einen Einstieg in die Musik – wie William es auch erlebte – zu ermöglichen.

Warum fühlt man sich gut, wenn man morgens aufwacht und die Sonne scheint? Ich weiß es nicht.
Genau so ein Gefühl weckt dieser Film – und da kann es dann egal sein, warum das so ist.

Ausschnitt bei Youtube
Schöne Version von Dave Grohl



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