Gestern ist Hanekes „Weißes Band“ für den Oscar nominiert worden und das gleich zweimal: zum einen für „Bester fremdsprachiger Film“ und dann noch für „Beste Kamera“. Ohne zu wissen was die Mitbewerber aus Argentinien, Peru und Israel zu bieten haben, denke ich, dass Haneke eine ausgezeichnete Chance hat.

Ort des Filmgeschehens ist ein Dorf namens Eichwald in Norddeutschland kurz vor Beginn des ersten Weltkrieges. Man sieht den Landarzt auf seinem Pferd übers Feld reiten, Pferd und Reiter stürzen spektakulär, der Mann ist schwer verletzt. Jemand hat eine Schnur über den Weg gespannt. Das Attentat wird von Polizeibeamten aus der Stadt untersucht, der Schuldige bleibt jedoch unauffindbar. Das Dorfleben schreitet wieder im gewohnten langsamen Rhythmus voran. Dann kommt es erneut zu Vorfällen. Der Junge des Barons verschwindet spurlos, wird ohnmächtig und misshandelt in der Scheune aufgefunden und ein behinderter Junge wird im Wald geblendet. Niemand weiß, wer hinter all diesen Untaten steckt. Die Spannungen zwischen den Dorfbewohnern wachsen ins Unerträgliche, das Verhältnis zwischen dem Baron und seinen Untergebenen verschlechtert sich drastisch. Man fühlt, das Böse treibt sein Unwesen in dieser ländlichen Idylle. Und stets finden sich kurz nach den mysteriösen Vorfällen die Dorfkinder als Zaungäste ein, erkundigen sich mit neugierigen Gesichtern und unverwandten Blicken nach den Betroffenen. Eine zentrale Figur im Film ist der Dorfschullehrer, der irgendwann den grauenvollen Verdacht schöpft, dass hinter all den Missetaten die Kinder stecken könnten. Er versucht zu intervenieren. Doch über allem schwebt der unbarmherzig strenge Geist des Protestantismus: Ein weißes Band, in Haaren und Ärmeln befestigt, soll sie zu Anstand und moralischem Handeln gemahnen während die Erwachsenen sie zu Hause perfide misshandeln und quälen. Die Geschichte schließt ungelöst mit der Nachricht vom Krieg und den Andeutungen des Erzählers, dass nun das Zeitalter der totalen Entgrenzung angebrochen ist.

Das Kinoerlebnis „Weißes Band“ fühlt sich wahrscheinlich an wie die Inkubationszeit von Wundstarrkrampf und Tollwut zugleich. Die Geschichte ist schnörkellos gut erzählt, kommt ohne Farbe (schwarz-weiß) und ohne jegliche Filmmusik daher (eines von Hanekes Kardinalprinzipien: „keine Ablenkung“), besticht durch die lähmende, zugleich fiebernde Ruhe, mit der die Figuren in und aus dem Bild geleitet werden. Der Zuschauer fühlt sich in die Mitte des Dorfplatzes gestellt. Trotz der fast drei Stunden kann jedoch von Langeweile nicht die Rede sein, denn ein jeder wartet darauf, dass sich die Spannung endlich löst und sich die „Krankheit“ dieser Dorfgemeinschaft endlich offenbart.

Eine „Faschismustheorie“ bietet der Film nicht (,auch wenn und der Name „Eichwald“ uns etwas plump auf diese Fährte locken soll). Auch die Bezeichnung „Psychogramm“ einer Gesellschaft am Eingang zu den Weltkriegen ist zuviel gesagt. Dies sind nur zwei Begriffe, die im Zusammenhang mit dem Film in den letzten Worten immer wieder verwendet werden. Für beide ist der Film wohl zu plakativ, zu schwarz-weiß, zu scherenschnittartig, zu artifiziell, die Kinder schlicht zu böse. Im besten Fall ist „Das Weiße Band“ ein Gedankenspiel, wie der Mensch auf einem Boden von Strenge und Unmenschlichkeit zur Bestie werden kann. Der Film lebt von seinen Figuren und ist Schauspielerkino von feinster Klasse, und das zum Glück mal mit vielen unbekannten Schauspielern. Alles in allem ein gekonntes Werk, das den Oscar im März durchaus verdient hat. – Außerdem bleibt zu erwähnen, dass die Dorfkinder ein wenig an die Kinder in dem 1960er Horror-Klassiker-Streifen „Das Dorf der Verdammten“ erinnern, womit Eichwald dann mit Spöck gleichzusetzen wäre. Könnte hinkommen.

Offizieller Trailer zum Film „Das Weiße Band“:

http://www.youtube.com/watch?v=2aaapMYGBJs


1 Kommentar

yolanda · 06.04.2010 um 08:31

Der Film hat mir sehr gut gefallen. Kann ihn nur weiter empfehlen.

Kommentar verfassen

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

%d Bloggern gefällt das: