Rheinabwärts IV

Aus hellem Treibholz alter Ströme
Sägte meine Hand dies Haus
Das in langen Jahren nachgedunkelt ist
Bevor es langsam steinern wurde.

In roten Platten starrt davor das Zittern mancher Jahre
Auf dem ein Baum den ganzen Tag mit Schatten dunkel malt
Bevor er langsam steinern wird

Und ein blindes Mädchen malt den Fluß dazwischen
Den man von hier aus niemals sehen kann

Kategorien: Lyrik

2 Kommentare

lynkeus · 04.07.2007 um 21:39

Danke für die wortgewaltige Interpretation.
Das „auf dem“ bezieht sich auf „das Zittern“ im Vers davor.
Daran müsste man noch etwas feilen…

Iwan Jakowlewitsch · 02.07.2007 um 15:47

Lynkeus, das Gedicht ist eine Wucht und lässt Mark und Bein zu Stein gefrieren! Gut herausgearbeitet ist das Spannungsverhältnis zwischen Bewegung und Erstarrung und vor allem die Übergangsprozess von bewegt zu starr.
Grandios der Titel und die erste Strophe, die schwer und bewegt daherkommen. Die „alten Ströme“ und die Bewegung des großen Flusses, in dem totes „Treibholz“ am Leser flussabwärts vorbeizieht, erinnert stark an Lethe, das Gewässer der Unterwelt, und an den Totenfluss Styx. Der Leser erfährt Folgendes: Dem Fluss entnahm das lyrische Ich mit starker Hand das tote Holz. Mit einem neuen Bewegungsablauf, dem Sägen, schuf es aus totem Material ein Haus, ein Hort und Schutz für das Leben. Die Hand steht für all das, was der Mensch, seitdem er mit ihr zu greifen versteht, in der Welt erreicht hat und erreichen kann. Sie ist Sinnbild für seine formende Kraft in der Welt und sein ganzes kulturelles Streben und Potential. Sie steht für den menschlichen Eingriff in das unendliche Dahinfließen der Welt, dem er Widerstand entgegensetzen muss, um nicht in das ewige Fließen hineingezogen zu werden und zu versinken. Und letztendlich ist dies das Schicksal des Menschen und all seiner Werke. Die Bewegung der alten Ströme lässt sich jedoch nicht aufhalten: Das Strömen vollzieht sich weiter im Inneren des Holzes, es verfärbt sich und lässt das Holz zu Stein gerinnen. Die Trochäen der ersten Strophe machen diese äußere Bewegung der Ströme und die innere Bewegung der Verfärbung und der Gerinnung sehr gut fühlbar.
Die zweite Strophe stellt einen Moment dar, der einige Jahre später aufgenommen zu sein scheint. Die Ängste, die das lyrische Ich im Leben quälen, sind sichtbar und eindrucksvoll zu roten Platten erstarrt, die vor dem Haus stehen. Die Furcht ist zur Institution geworden, die wie eine Installation vor dem Hause steht und beschaut werden kann. Vor dem Haus ist wohl ein Baum gewachsen oder gepflanzt worden. Der Bezug zu dem Relativsatz „auf dem“ (Z. 6) ist unklar. Der Baum schließt erinnernd an das Treibholz der ersten Strophe an, wirft dunkle Schatten, die eine mögliche Zukunft bedeuten können, auf den Boden und wird dadurch zu einem memento mori. Auch er, der Lebensbaum, wird allmählich auskristallisieren und zu Stein gerinnen.
Das blinde Mädchen erinnert fern an das Sinnbild der Gerechtigkeit. Nur sind Iustitias Augen nicht einfach verbunden sondern sie sind blind. Sie lässt sich durch ihre Blindheit nicht von der äußeren Erscheinung der Welt leiten. Sie weiß intuitiv wo Styx, die Trennlinie zwischen Leben und Tod verlaufen muss und wo er zu malen ist. Vom Haus aus bzw. mitten im Leben stehend ist die Grenze zwischen Leben und Tod nicht klar erkennbar. Vielmehr nimmt das lyrische Ich das Ausrinnen des Lebens und den Tod immer und überall, d.h. inmitten des Lebens wahr. Der Tod ist ständig anwesend und ragt immer mitten in das menschliche Leben hinein. Die dritte Strophe hat wie bereits schon die zweite Strophe im Vergleich zur ersten wieder um eine Zeile abgenommen. Das Gedicht rinnt allmählich aus bis es dann in ein Schweigen verfällt.

Mehr davon!

Iwan Jakowlowitsch

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