Oft ist mir der Autor empfohlen worden, bisher habe ich das aber ignoriert. Japanisch ist mir so fremd, dass ich nicht mal glauben kann, wie man einen japanischen Text überhaupt ins Deutsche übertragen kann. Aber offensichtlich funktioniert dies ja auch (mehr schlecht als recht zwar) bei Anleitungen für Handys, Drucker, Spülmaschinen und Fernseher. Ich kann meine Vorbehalte gegenüber dem Autor nicht begründen, ehrlich gesagt. Dennoch hätte ich mir kein Buch von ihm gekauft. Dieser Roman war ein Weihnachtsgeschenk, das ich letzte Woche wieder zur Hand nahm. Ich war dankbar für das Geschenk, weil es mir die Gelegenheit bot, mich mit einem Autor auseinanderzusetzen, den ich sonst weiterhin ignoriert hätte.

Der Roman zeigt zwei Erzählebenen, die über weite Teile des Buches weitgehend getrennt voneinander verlaufen, aber sehr eng zusammenhängen, trotz der völligen  inhaltlichen Verschiedenheit.

Ebene 1: „Hard-bolied wonderland“ spielt in der Zukunft.  Ein anonym bleibender Ich-Erzähler, Kalkulator, von Beruf (jemand, der Daten verschlüsselt, um sie vor dem Zugriff der „Fabrik“ zu schützen, einer umfassenden kriminellen Organisation, die in Opposition zum „System“ steht, einer halbstaatlichen Organisationsform verschiedener Firmen). Kalkulatoren arbeiten mit einer Lizenz des System und sind für den Schutz von Daten vor fremdem Zugriff verantwortlich.

Dieser Kalkulator ist zusätzlich ausgebildet in einer Technik, die Shuffeling genannt wird, eine nicht zu entschlüsselnde Art, Daten zu schützen. Der Protagonist, ein Einzelgänger, der alte Hollywoodfilme und alte amerikanische Musik mag, gerne Bier und Whisky trinkt, spricht, denkt, handelt wie ein Privatdetektiv von Chandler. Im Grunde ist die Geschichte der ersten Handlungsebene ein eher klassischer Hardboiler, wie der Titel ja ohnehin schon nahelegt, im schlecht sitzenden Gewand einer Science-fiction Story.  Der Kalkulator wird von einem obskuren Professor, der sich mit Kraniologie, Biologie, Psychologie und Neurologie beschäftigt, beauftragt, bestimmte Daten zu shuffeln, um sie vor der Fabrik zu schützen. Dass der Professor aber auch kein loyaler Anhänger des Systems ist, und sich lieber in einer Höhle versteckt, die man nur durch einen Geheimgang betreten kann, ist dem Kalkulator nicht von Beginn an klar. Und so kommt es wie im klassischen Hardboiler eben auch hier dazu, dass sich der Protagonist ab einem gewissen Zeitpunkt zwischen allen Fronten wiederfindet. Die Lösung ist aber keine des klassischen Hardboilers. Der Protagonist selbst war Teil eines Experiment des Professor, dem es gelungen ist, Zugriff auf das menschliche Bewusstsein zu bekommen. Es ist ihm gelungen einen weiteren Bewusstseinskern in der Seele des Kalkulators zu implementieren, die im Sinne der Datensicherung Verwendung finden soll, um so einen perfekten Schutz zu sichernder Daten zu gewährleisten. Aber das Experiment lief nicht wie geplant. Der Kalkulator, der kein Bewusstsein von der ihm existierenden Gegenwelt hat, kann sich dem wachsenden Einfluss dieser  Gegenwelt auf sein in dieser Ebene  existierendes Bewusstsein immer schwerer nur entziehen. Diese Veränderungen seiner Seele werden im erst klar, als der Professor ihm alles eröffnet. Die Sache muss schlecht enden. Das Bewusstsein des Kalkulators in dieser Welt wird aufhören zu existieren, es wird vollständig in die andere Welt  integriert. Eine gefahrvolle Wanderung durch unterirdische Gänge, die zum Labor des Professor oder von dort zur Tokyoter Ubahn führt, nimmt einen großen Raum in der Erzählung ein. Da müsste man wohl man Freud oder Jung bemühen, um dem Symbolgehalt näherzukommen. Das würde sich angesichts des Themas ja auch anbieten. Aber das haben bestimmt schon ein paar eifrige Nerds oder Literaturwissenschaftler getan.

Ebene 2: Das Ende der Welt

Ein ebenfalls namenloser Mann betritt durch ein Tor eine Stadt. Dort wird sein Schatten mittels eines Messers von ihm abgetrennt. Vorher aber fallen dem Erzähler die Tiere auf, Einhörner, die sich mal innerhalb der Stadt, mal vor der unüberwindbaren Mauer aufhalten. Der Torwächter trennt den Schatten von seinem früheren Besitzer. Der Schatten führt ein Eigenleben, kann sprechen, wird vom Torwächter zur Arbeit herangezogen. Der Neuankömmling soll die Position des Traumlesers einnehmen, was er, nachdem man ihn partiell geblendet hat und man ihm seine Aufgabe erklärt hat, tut. Er muss aus den Schädeln der Einhörner alte Träume lesen. Er versteht diese aber nicht. Der Protagonist erkundet die Stadt und die umliegende Landschaft, die von der unüberwindlichen Mauer begrenzt wird und die Einwohner hier festhält. Es gibt Weiden, Berge, einen geheimnisvollen See, einen noch mysteriöseren Wald, in dem die Verdammten der Stadt ihr Dasein fristen müssen, ein Kraftwerk und allerkei weitere Merkwürdigkeiten. Eine Traumwelt (Aber auch die Welt der Ebene 1 ist nicht unsere, werden doch die Ubahnschächte Tokyos von den Schwärzlingen bevölkert, kaum spezifizierten Ungeheuern, die Menschen fressen). Seltsames geschieht hier! Man fühlt sich an Kubins Roman „Die andere Seite“ erinnert. Hier lebt nun der Protagonist und endeckt, dass er ein Gefangener  in dieser perfekten Welt ist, die kein Leid, keine Enttäuschung kennt. Aber dafür auch auch kein Glück, keine Liebe. Den Bewohnern ist ihre Seele abhanden gekommen, als ihr jeweiliger Schatten starb. Die Einhörner, die im Winter sterben, tragen die Fragmente der Seelen aus der Stadt. Erinnerung an Liebe, Musik etc. gehen auch dem Protagonisten mit der Zeit verloren. Aber die Liebe, denn noch ist er dazu fähig, zu einer Bibliothekarin, hält ihn schließlich von einer möglichen Flucht ab. Sein Schatten dagegen, mittlerweile arg geschwächt, kann scheinbar über den See fliehen. So endet auch der Roman. Im Bewusstsein, in einer Welt gefangen zu sein, entscheidet sich der Protagonist trotzdem zu bleiben, da er entdeckt hat, dass er die in den Schädeln fragmentierte Seele der Bibliothekarin doch lesen und möglicherweise wiederherstellen kann.

Im Ganzen ist mir der Science-fiction Part nicht ausgefeilt genug, das kennt man besser gelöst z.B. von den Strugatzki Brüdern. Ob das aber hier notwendig ist, bleibt ohnehin die Frage, denn der Prozess der Auseinandersetzung der/des Protagonisten mit seiner Zukunft in der jeweiligen Welt ist das Entscheidende. Hier geht es mir ein wenig zu einfach zu. Annahme des Schicksal folgt auf Zweifel. Im Falle von Ebene 1 scheint mir mehr Resignation als Akzeptanz die Entscheidung des Kalkulators bestimmt zu haben. Dieser flieht letztlich aus seiner Welt, in der er der Gesuchte, Verfolgte ist. Er flieht aus einer Welt, die er zur Genüge kennt in eine, von der er kaum eine vage Vorstellung hat. Der Protagonist in der zweiten Welt (genannt „das Ende der Welt“) entscheidet sich aus einem Gefühl der Verantwortung gegenüber den übrigen Bewohnern seiner Welt, deren Schöpfer er ja auch ist, zu bleiben und als Traumleser das Auswaschen der Seelen zu stoppen und so möglicherweise diese vorhandene Welt zu verändern. Am Ende ist es der geflohene Schatten, der möglicherweise eine Durchbrechung der Situation bringen könnte. Als Teil der Seele des Zurückbleibenden, die  ja auch die des Kalkulators ist, bleibt er ungebunden und somit möglicherweise ein Vermittler zwischen beiden Welten. Aber diese Lösung wird mit der Flucht des Schatten lediglich angedeutet. Sicherlich nicht einer der ganz großen Romane, aber einer, der es wert war, seine Zeit damit zu verbringen.


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