Devotionalien

Da ist das Ding! Endlich. In einem schnöden weißen Plastiksack (fragt mich nicht, warum, das Paket darin war intakt) wurde die Box geliefert… Großartig!!!

Es fehlen noch ein paar Cover-Arts, wollte nicht zu viel auf das Foto quetschen.

Oh, sorry! Das Bild ist in der Vergrößerung unscharf. Mein Handy mag wohl die Lichtverhältnisse hier nicht…

20.10.2010 – Morcheeba in Mannheim

Die alte Feuerwache in Mannheim war ausverkauft. Mit deutscher Gründlichkeit lief der Abend ab. Pünktlich um 20 Uhr spielte die „Vorgruppe“ auf; ein Sing-Songwriter aus Grönland. Simon Lynge ist angebliche der erste Künstler dieses Genre, den die Inuit hervorgebracht haben. Angeblich ist er auch der erste seines Volkes, der jemals eine Platte veröffentlicht hat. Wie auch immer, es schien, als habe er in Grönland wenig Gesprächspartner für einen Gedankenaustausch. Gestern hatte er zwar auch keine, aber immerhin ein gut gelauntes Publikum, dem er seine Ausführungen zu seinen Songs mitteilen konnte. Seine Songs blieben leider etwas blass, was immerhin zu seiner Stimme gepasste. Vielleicht sollte man sich mal in Ruhe seine Platte anhören, um sich ein genaueres Bild von seiner Kunst zu machen, ohne einem vorschnellen Urteil zu verfallen. Er hatte auch lediglich eine gute halbe Stunde, um sich zu präsentieren, und das wohlmeinende Publikum zollte brav Respekt in Erwartung von Morcheeba.

1.10.2010 – Leonard Cohen in Stuttgart

Der Kontrast hätte kaum größer sein können. Neben der Schleyerhalle steppte der Bär auf dem Wasen in der Halle gab sich Leonard Cohen die Ehre. Dort Lärm, blinkende Lichter und ausgelassene Stimmung, hier ruhige Musik, gedämpftes Licht und wohlig melancholische Stimmung. Dort jugendliche Unordnung, hier die Eltern- oder gar Großelterngeneration sauber geordnet auf unzähligen Stuhlreihen. Dort Schüler hier ihre Lehrer. Wie auf einem Schulausflug, wenn das Hauptprogramm rum ist und jeder die letzten 2  Stunden des Ausflugs nach eigenen Vorstellungen gestalten darf. So hatte gestern wohl jeder seinen Spaß in Stuttgart.

Ein Abend mit Wolfgang Ambros

Nach Textzeilen wie

Ich fühl‘ mich wie der Jesus
Mir tut das Kreuz so weh
oder

es lebe der Zentralfriedhof oder

meine Herrschaften – heroinspaziert oder

wen er einmal gerufen hat – den holt er sich auch – Der Watzmann

fühle ich mich irgendwie so – hmm – analog. Da passt es wie – verzeihung – Arsch auf Eimer, dass ich heute eine Werbung von Hülsta sah, die ich ganz einfach großartig finde, und  die es für mich auf den Punkt bringt, obwohl mir das tanzende Etwas im Vordergrund etwas überflüssig erscheint und ich die blanken Zahlen als unwichtig empfinde. Die schiere Wucht, von Musik erschlagen werden zu können, ist für mich Aussage genug – also – werft Ipods nach mir und versucht mich zu treffen.

Once

once

Einfach alles anders machen, mit kleinem Budget und auch sonst sehr beschränkten Mitteln. Mal den umgekehrten Weg beschreiten: Musiker spielen Schauspieler – nicht andersherum. Das ganze noch mit einer feinen Geschichte und fantastischem Soundtrack versehen, schon ist die Idee eines Independent-Films auch ganz nah dran am sonst so unwahrscheinlichen kommerziellen Erfolg geboren.
„Once“ erzählt die Geschichte zweier Namenlosen dicht am Rande der Gesellschaft. Hier bin ich schon beim ersten bemerkenswerten Alleinstellungsmerkmal: Die zwei hauptdarstellenden Musiker, im wahren Leben Glen Hansard (The Frames) und Markéta Irglová, stellen sich für den Zuschauer nie namentlich vor. Zwei unbekannte, die sich zufällig auf der Straße bei des Mannes eigentlicher Leidenschaft – seine Lieder in den Einkaufsstraßen Dublins mit niemals gespieltem sondern stets wahrem Herzblut darzubieten – lernen sich über Nebensächlichkeiten (ihr kaputter Staubsauger, den er, gelernter Staubsaugerreparateur, reparieren kann) kennen. Sie finden schnell heraus, dass für beide die Musik ein nicht unerheblicher Bestandteil ihres ansonsten tristen Lebens ist. Geblendet von zu viel Hollywood-Schund malt man sich schon die weitere Geschichte aus: der erste Kuss, Schwören der ewigen Liebe, Plattenvertrag und Erfolg bis zum Abwinken. Nicht hier. Die zwar vorhandenene aber niemals gespielt wirkende Annäherung der beiden verläuft fast schon kindlich naiv. Die Schlüsselszene des Films findet in einem Musikgeschäft statt.

Ausnahmsweise ein paar Links

Ich weiß, ich weiß – das soll kein Link-Blog sein und wird es auch nicht werden. Ich bin heute allerdings auf eine – vielleicht nicht ganz neue – aber in dieser Form und Qualität für mich bisher unbekannte Kunstform aufmerksam gemacht worden, die ich unbedingt teilen muss:
Das „Literal Music Video“

Da werden einfach mal die zum Teil wirklich sinnfreien und in keinster Weise zum Inhalt des Liedes passenden Videos einiger Künstler zurechtgerückt. Exemplarisch zwei wirklich großartige Vertreter:

Sigur Rós – ()

Im Artikel zum Amiina-Album erwähnt ist es nun an der Zeit, diese Band vorzustellen. Sie spielte auf dem Southside – damit hättest du mich beinahe rumgekriegt Homberle – und ich muss sagen, ich kann mir diese Art von Musik nicht unter freiem Himmel vorstellen, zumindest nicht in der Sonne, vielleicht bei Nacht oder Sonnenaufgang. Außerdem glaube ich, dass ein Großteil des Publikums sicher eher irritiert sein würde, denn die Musik der Isländer unterscheidet sich doch sehr von der der anderen Bands, die dort auftreten.
Naja, am 11.8. werde ich die Band im Palladium in Köln sehen, das sollte ein besserer Rahmen sein.
Es fällt mir schwer diese Art von Musik zu beschreiben. Der blinde Sänger spielt seine Gitarre mit einem Geigenbogen. Entsprechend ruhig und elegisch klingt es. Nein, ruhig ist das falsche Wort. Vom Tempo her gehört die Musik dieser Platte sicher eher in die Ambient-ecke, vor allem das Piano erinnert an Brian Eno, den Erfinder des Ambient. Entspannt klingt die Musik ebenfalls nicht. Vielleicht hilft ja der Text weiter – – – Es gibt keinen. Auf anderen Platten bedienen sich Sigur Ros ihrer finnischen Muttersprache, aber hier ist es nur Gesang. Gesang in seiner vielleicht ursprünglichen Form. Melodische Lautmalerei.
Eine Handvoll dieser Klangbilder dominieren dieses CD, beständig wiederholt und in sanft variierende Melodien eingebettet. Es scheint, als ob die Melodien um ihren Mittelpunkt kreisen, in dem Versuch diesem unhörbaren Zentrum im zerfließenden Klang der einzelnen Klangbilder so nahe wie möglich zu kommen. So wie ein Ast den ganzen Tag vom Wind aus seiner ursprünglichen , seiner ihm angemessenen Lage, leicht nach links, rechts, oben oder unten gedrückt wird. Ohne diesen Wind käme er zur Ruhe. Und so ist die absolute Melodie, nach der diese Platte sucht, eine ,die sie nie erreichen kann, ohne sich selbst zu verlieren: die Ruhe, das Schweigen. In der Stille transzendiert sich die Musik selbst.
Gesang und Melodie sind auf demselben unmöglichen Weg. So hat diese Platte einen durchaus tragischen Charakter. Im Laufe der CD steigert sich Melancholie der Beginns zu einer Apologie des Schmerzes über den Verlust der Stille im Bewusstsein der eigenen Unzulänglichkeit der Mittel, ein Schmerz über das einmalige Durchbrechen der Grenze zum Klang. Dieser Weg ist nicht umkehrbar, wie die Zeit, und auch nicht in einer vorausschreitenden, sich immer weiter vom Ursprung entfernenden Progression wieder zu erlangen. Was bleibt ist der Versuch allein und vielleicht eine tief empfundene Ahnung, dass das Ende mit dem Anfang zusammenfallen könnte.
Ein fundamentalontologisches Problem wird also auf dieser Platte in Form der Musik in der ganzen Bitterkeit des absoluten Dilemmas in dunklen Farben gemalt, die nur vom Kern der menschlichen Seele, zu dem die Kunst allein zu dringen vermag, erfasst werden können.
Das Leben als Gleichung zwischen Finden und Verlieren, die immer einen negativen Rest zu haben scheint.
Bildlich symbolisiert dies das Cover, das zwei Klammern zeigt, die nichts einklammern von nichts eingerahmt sind. Letztlich sind sie selbst der Rahmen, der Beliebiges zusammenfügen kann, um dem Wahllosen einen Sinn zu geben. Somit wirkt das Cover als retardierendes Moment dieser Platte.
Das Bild aus dem Amiina-Artikel ist an dieser Stelle zu Ende zu bringen. Klang jene Platte wie ein Blick aus einer heimelichen Hütte in dunkler Nacht nach einem etwas verspäteten Wanderer, so klingt diese wie der letzte Blick des Wanderers hinab auf die helle und warme Hütte in der eiskalten Nacht, bevor er sich abwendet und in den schroffen Hügeln Islands verschwindet.

Esbjörn Svensson Trio – Seven days of falling

Am vergangenen Wochenende starb bei einem Tauchunfall im Alter von nur 44 Jahren Esbjörn Svensson, der kreative Kopf des ein schwedischen Jazztrios, das aus gutem Grund seinen Namen trug. Ungemein produktiv schuf er eine bis dahin noch nicht gehört Art von Jazz, die rockige Einflüsse sowie Elemente des Ambient zu einem einzigartigen Sound vereint, der seinesgleichen sucht. Nicht umsonst galt das Trio mit Svensson an der Spitze als erfolgreichste und was in meinen Augen viel wichtiger ist, als einflussreichste Band des modernen Jazz.
Als Beispiel mag hier das 2003 erschienene Album „Seven days of falling“ dienen. Eingängig in den Melodien und ungemein kreativ gehört das Album sicher zu dem besten, was ich von E.S.T bislang kenne. Es klingt ungemein modern, ohne die Wurzeln des „traditionellen“ Jazz der letzten 60 Jahre zu verleugnen.Ein weitaus geschulteres Ohr könnte sicher vielfältige Beziehungen und Einflüsse nachweisen. Dennoch verkommt das Album nicht zu einem platten postmodernen Synkretismus, wie er leider häufig anzutreffen ist. Ohne übermäßig laut oder verrückt zu sein, ist es dennoch auch gerade in den ruhigen Passagen ein sehr energiegeladenes Album, das man sich einmal live erlebt zu haben wünscht. Letztes Jahr hätte man diese Chance gehabt, quasi vor der Haustüre, tja…
Wer denkt, dass Jazz nicht mehr produktiv ist, sich im Epigonalen verloren hat und vergangener Tage und Helden nachtrauere sieht sich hier eines besseren belehrt.
In der Kunst besteht immer die Chance sie neu zu entdecken, dem scheinbar Alten neues Leben, ein anderes Leben einzuhauchen, in dem immer auch die Wurzeln des Alten neuen Boden finden und neu austreiben. Nur selten, vielleicht niemals war die Kunst voraussetzungslos und einfach nur neu. Immer ist das Neue, so fremd und verstörend es auch zuerst erscheinen mag, verknüpft mit dem Alten. Darauf aufmerksam gemacht zu haben ist Svensson zweitgrößtes Verdienst. Das größte ist seine Musik.

Nick Cave and The Bad Seeds – Murder Ballads

Obwohl der umtriebige Nick Cave nach wie vor alle Jahre ein Album heraus bringt, in Wien Vorlesungen über Musik hält, Romane schreibt und man aus diesem Grunde ein relativ neues Werk von ihm vorstellen könnte wie die neue Platte „Dig Lazarus, dig“, möchte ich aber auf mein persönliches Lieblingsalbum von Nick Cave hinweisen, „Murder Ballads“ von 1996. Wer im Zusammenhang mit populärer Musik an das Wort Ballade denkt, wird wohl den Kopf schütteln. Es tut das auch zu Recht, wer an schmierige Heulsusen-songs im Schlage von Witney Houston, Celine Dion oder die noch übleren Titel, die im sogenannten R’n’B Bereich Balladen genannt werden, denkt und auch denjenigen, die diese Gattung in Verbindung mit „Metal“ bringen, wird nicht unbedingt wohler bei der Sache. Mir scheint, als bezeichnet man in der zeitgenössischen Popmusik einen übertrieben pathetischen, emotionalen Song langsamen bis mittleren Tempos, der gerne auch mit ein paar sozialkritischen Lampions austaffiert wird, als Ballade.
Nick Cave fasst Ballade offenbar im literarischen Sinne auf, also ein eine im poetischen Kleid erzählte, abgeschlossene dramatische Geschichte, die mit starken Effekten arbeitet, gern auch Schauer und ein wenig Grusel erregen darf, auf jeden Fall aber oft tragisch endet.
Denn genau diesem Schema folgen die Lieder auf dieser Platte. Jedes der Lieder erzählt von Mord und Todschlag. Von Mädchen, die das Meer sehen wollten, und an den falschen Typen geraten (The Kindness of Strangers), von feigen, durchgedrehten Irren, die in eiskalt eine Menge Leute umlegen, ohne den Mut zu haben, sich nach dem Amoklauf selbst zu richten (O’Malley’s Bar) oder von geisteskranken Irren, die ihre zunehmend extremeren Taten mit einem unglaubliche Fatalismus nur notdürftig bedecken (The Curse of Milhaven).
Dabei sind die Songs auf diesem Album immer mit einem großen Schuss Melancholie gewürzt, ganz wie es Nick Caves eigener Definition eines guten Songs entspricht, wie er es auch im Rahmen seines Seminar in Wien programmatisch formuliert hat. Insofern dürfen die Stücke auf diesem Album als typisch für das Songwriting Nick Caves gelten.
Mögen manche Alben von Nick Cave and the Bad Seeds auch den von bunten Popmusik weichgespülten Ohren und Hirnen nicht gerade angenehm klingen, so ist dieses Album doch bei aller Betonung des Textlichen und der unkonformen Länge der Songs ein durchaus eingängiges. Das Duett mit Kylie Minogue ist wohl noch jedem hinreichend bekannt. In Kontext dieses Albums gewinnt das fast zu oft gehörte Stück aber einen neuen, tieferen Glanz.
Auch PJ Harvey ist zu hören, die mir in letzter Zeit mehr als einmal über den Weg gelaufen ist (als Duettpartnerin von Mark Lanegan auf Bubblegum zum Beispiel), was ich als Zeichen und Aufforderung verstehe, mich an diesem Ort in Kürze etwas genauer mit ihrer Musik zu befassen.
Die Stimme von Nick Cave unterstreicht die böser Ironie des Albums zusätzlich. In diesem Sinne:
„La la la La la la lei
Even God’s little creatures, they have to die.“

Amiina – Kurr

Auf Island kommt es vor, dass Straßen verlegt werden, weil es bei Bauarbeiten zu teilweise schweren Problemen kommt. Maschinen fallen aus, den Menschen wird unwohl und schwindlig. An so einer Stelle, glauben einige Isländer, wohnen Elfen. Diese halten sich vornehmlich in und an großen Steinen und Felsen auf, an denen es auf Island bekanntlich nicht mangelt. In solch einem Fall ist es nicht selten, dass man beschließt, die Straße ein wenig zu verlegen, damit die Elfen in Ruhe weiterleben können. Die verstimmten Elfen kann man besänftigen, indem man Kerzen aufstellt und Musik spielt oder singt.
Zwar sind die vier Damen von Kurr ganz sicher keine Elfen und ihre Musik ist auch durchweg irdisch. Aber solch eine Musik dürfte auch Elfen gefallen. Die ruhigen Schwestern von Sigur Rós könnte man die vier Damen nennen. Streng genommen sind sie nur ein Streichquartett und die Musik des Albums beruht auch in jedem Moment auf sanft wiegenden Streichinstrumenten, die einen endlosen, in ruhigen gedeckten Tönen sich ausbreitenden Teppich bilden, wie er auf dem Cover zu sehen ist. In schöner Bildhafitgkeit durchzieht das musikalische Prinzip die ganze graphische Gestaltung der CD. Vier Frauen sitzen in mittlerer Entfernung an einem Tisch und stricken in sich versunken gemeinsam jenes Vlies, dessen vier Farben ständig alternieren. Die Innenseite der Cd setzt die Metaphorik des Fadens fort. Viele parallel verlaufende Linien verdichten sich zu Worten und Text ohne einmal abzusetzen. Nicht mit dem Lineal , sondern von dem leichten Zittern einer Hand gezogen, laufen diese Linien nie parallel von der einen Seite des Booklets als verschnörkelter Text in jenen Linien aus, die in so korrekter und gerader Anordnung nur das Zittern einer Hand malen kann. Nur zwei Mal verdichten sich die Linien auf der Cd noch einmal: zum Namen der Band und dem Titel der CD.
Entsprechend arm ist die Cd an Text. Der Gesang bleibt immer schwebend nonverbal oder verstummt ganz. Es scheint, als wachse aus dem ruhig Klangteppich die menschliche Stimme nur zeitweise empor, um sich freiwillig in die Harmonie des Klangs zu fügen.
Wie reich diese Cd dagegen an Klang ist. Neben den Klängen der Streichinstrumente, die hin und wieder ein wenig elektronisch untermalt werden, klingt, klingelt, blinkt, funkt und knistert es in einem fort. Ist die Musik von Sigur Rós zu vergleichen mit einem einsamen Spaziergang in den eisigen Hügeln des mitternächtlichen Islands, so ist diese Cd hier das Gegenstück dazu. Ein Blick aus einer kleinen, warmen, halbdunklen Hütte, der auch der schlimmste Sturm nichts anhaben kann, hinaus in das lange Schwarz der isländischen Nacht. Ein Blick, der in den paar hellen Metern vor dem Fenster nach jenem einsamen Wanderer sucht und weiß, dass er endlich kommen wird, ja muss.
Mit solch einer Musik, die man vielleicht isländische Romantik nennen kann, könnte man sicherlich die erzürnten Elfen besänftigen. Und wenn ich manchmal mit den Liedern dieser wunderschönen Cd im Ohr abends am nahen Waldrand vorbeikomme, dann ist mir hin und wieder so, als würde ich beobachtet.

Biosphere – Cirque

Das Schicksal des Aussteigers Christopher McCandless scheint die Menschen nachhaltig zu beschäftigen. So hat sich auf Geir Jenssen alias Biosphere von dem Schicksal Christopher McCandless inspirieren lassen. Das Ergebnis ist dieses Album, das zwar nicht zu den besten Biospherescheiben zählt, aber dennoch tief zu beeindrucken weiß.
Ungewöhnlich für Biosphere ist der Beat, der sonst im Allgemeinen fehlt, hier aber an einigen Stellen seine strukturierende Funktion zurückgewinnt. Ebenfalls auffallend ist die Verwendung von Sprachfetzen in verschiedenenen Sprachen. Hat man erwartet auf diesem Album Naturgeräusche zu hören, so wird man enttäuscht. Dass gerade die Natursamples auf einem Album fehlen, das sich mit dem Schicksal des Aussteigers McCandless in Alaska auseinandersetzt, ist auf den ersten Blick um so erstaunlicher, da Aufnahmen aus der Natur oft auf den Platten von Biosphere verwendet werden. Ja es gibt sogar ein Album, das nur aus arrangierten Geräuschen besteht, aufgenommen im Zusammenhang mit Geir Jenssens Trip in den Himalya.
An einigen Stellen, Zum Beispiel gleich zu Beginn, meint man Nauturaufnahmen zu hören. Allerdings handelt es sich hierbei um künstliche erzeugte Klangbilder, die die Natur lediglich nachahmen sollen. Vielleicht noch nicht einmal das, sondern in ihrer Künstlichkeit lediglich auf die Natur verweisen. Überhaupt ist das Verhältnis von Natur und Kunst auf dieser Platte das zentrale Motiv. Vor diesem Hintergrund sind die diversen Spachsamples zu sehen, die eine recht große Variation aufweisen. Von Fetzen aus Telefongesprächen über Regieanweisungen bis hin zu monologischen Wiederholungen komponierter Satzstrukturen, die in beinahe Verscharakter bekommen.
Die Stellung des Menschen zwischen Natur und Kultur ist das Hauptthema der Platte, Nur so kann sich das Grundmotiv zu einem quasi-tragischen Moment weiterentwickeln. Das Verhältnis von Kultur und Natur ist nur dann überhaupt von Interesse, wenn versucht wird, den Menschen innerhalb dieses Spannungsverhältnis zu verorten und genau dieser Versuch ist hier unternommen.
Die Platte zeichnet den letzten Lebensabschnitt McCandless nach, allerdings nur in einem punktuellen Herausgreifen einzelner Stationen. Dass diese Wegmarken vielmehr innerer Natur sind, darf man aus der Tatsache schließen, dass die Musik mit zunehmender Dauer immer dunkler und bedrohlicher wird. Die Titel der einzelnen Stücke stützen das. „Too fragile to walk on“ heißt das letzte Lied.
Je weiter der Aussteiger sich von der Zivilisation entfernt, desto dunkler wird sein Schicksal, was nicht heißt, dass die ersten Partien der Platte fröhlich klingen. Im Vergleich mit den letzten Stücken der Platte erzeugen sie aber immerhin den Eindruck einer zum Überdruss gewordenen Gewöhnung an die materielle Kultur. Gerade die ständig wiederholten Sprachsamples untermalen diesen Eindruck. Die dialektische Struktur der Liedtitel (z. B. Black lamb & grey falcon; Moistened & dried; Algae & fungi) transformieren das Grundmotiv zu einer Beschreibung der Möglichkeiten der Existenz des Menschen in Angesicht Natur, die ihren eigenen Gesetzen gehorcht und außerhalb der Kultur absolute Anpassung an ihre Gesetzmäßigkeiten fordert. Dazu rücken die dialektischen Liedtitel die innere Reise von McCandless zunehmend in ein mythisches Licht. Der Weg des Aussteigers führt aus der hochtechnisierten, der Natur weitgehend entrückten Zivilisation zurück in das mythische Reich einer mystischen Vereinigung des Menschen mit der Natur. Seinen dramatische Höhepunkt findet die Platte im neunten und zehnte Lied, die den oben erwähnten Beat auf eine für Biosphere ungewöhnliche Art und Weise in den Mittelpunkt rücken.
Man darf in diesem beiden Stücken McCandless Ankunft in der Wildnis erkennen, die Etablierung seines Stützpunkts in jenem alten Bus. Die vergleichsweise Heftigkeit des Beats spiegelt weniger die Euphorie des Aussteigers an einem Ziel angekommen zu sein als vielmehr das hektische Getriebenwerden, radikal Ruhe- und Rastlose des Aussteigers, der im Umkreis um seinen Bus die für Touristen (?) angelegten Notplätze verwüstet, um sich auch von den letzten Resten der Zivilisation abzuschneiden.
McCandless stirbt (ob an Hunger oder an einer Vergiftung ist letztlich nicht von Bedeutung) schließlich, nachdem er einige Monate allein, ohne Kenntnisse der Wildnis, ohne nennenswerte Ausrüstung im eisigen Alaska überlebt hat.
Diese Platte ist ein weiteres Zeugnis dafür, dass die Geschichte von Christopher McCandless das Zeug hat, zu einem postmodernen (ich entschuldige mich für die Verwendung dieses Begriffs) Mythos zu werden. In tragischer Weise zeigt uns sein Schicksal, das keinerlei romantische Verbrämung erlaubt, dass der Prozess der Zivilisation den Menschen (abgesehen von einigen Naturvölkern) vollständig vereinnahmt und ihn von seinem einstigen Umfeld, das er immerhin die weitaus meiste Zeit seiner genotypischen Entwicklung bewohnt hat, vollständig abgeschnitten hat. Wir können nicht mehr zurück zur Natur, nur mit hohem Aufwand ist dies für begrenzte Zeit möglich. Wir sind Sklaven unserer eigenen Kultur, die uns so beherrscht wie es einst die Natur mit uns tat. Kultur als die Möglichkeit den Menschen aus seiner naturräumlichen Umklammerung zu befreien ist umgeschlagen in eine erneute vollständige Abhängigkeit des Menschen von der selbst erschaffenen Kultur. Eine Flucht aus der Zivilisation zurück in die Natur ist, wie uns das Beispiel von Christopher McCandless zeigt und die vorliegende Platte eindrucksvoll unterstreicht, nicht mehr möglich. Dort erwartet den Aussteiger nur noch der Tod.

Jon Krakauer – In die Wildnis / Eddie Vedder – Into The Wild

Manchmal offenbart das Leben Zufälle, die beim zweiten Hinsehen gar kein Zufall sein können, Schicksal vielleicht, aber kein Zufall. Oder gibt es da vielleicht gar keinen Unterschied? Egal, sollen sich doch andere über das Warum Gedanken machen. Ich habe vor einigen Tagen zufällig entdeckt, dass Eddie Vedder, der Sänger von Pearl Jam, sein Soloalbum „Into The Wild“ veröffentlicht hat – gesehen und gekauft. Der Soundtrack zum gleichnamigen Film, was ich spontan vernachlässige und mir auch ziemlich egal ist. Nach dem ersten Hören gefallen mir ausnahmslos alle Titel – leider nur elf an der Zahl, bei einer Spielzeit von knapp mehr als 30 Minuten – ausgesprochen gut. Diesmal nicht nur gefühlt, sondern tatsächlich viel zu kurz. Nachdem ich das letzte Buch von Jon Krakauer „In eisige Höhen“ beiseite legte, wollte ich direkt mehr. Beim Stöbern im Buchladen finde ich sein Buch „In die Wildnis“ und blättere darin. Sofort fesselt mich die Geschichte um Chris McCandless. Im Moment als ich zur Kasse gehen will, sehe ich einen Stapel Bücher vor mir, mit einem Cover, dass mir doch sehr bekannt vorkommt. Der gleiche grün-weiße Bus mit der markanten, verwitterten Nummer 142 auf der Seite. Darauf sitzend der gleiche Typ, den ich auf dem Cover der CD, die ich vor kurzem gekauft habe, für Eddie Vedder hielt. Fast schon peinlich berührt schaue ich mich um, aus Angst jemand lacht mich bei dieser Offensichtlichkeit aus. „Into The Wild“ – „In die Wildnis“ – da hätte man auch gleich drauf kommen können. Die gestapelten Bücher sind die Neuauflage der gleichen Geschichte, die nun von Sean Penn verfilmt wurde, dessen Soundtrack mich unwissentlich die letzten Tage begleitete. Die nächsten Stunden verbringe ich damit, die beiden zusammenzuführen. Ich starte die Reise.

Chris McCandless ist Anfang 20 als er beginnt das Leben zu leben, das schon immer in ihm schwelt und mit aller Macht die Zügel in die Hand nehmen möchte, und nicht mehr jenes, welches von ihm erwartet wird. Aufgewachsen in überaus soliden Verhältnissen, überdurchschnittlich begabt was schulische und sonstige vermeintlich erstrebenswerte Leistungen angeht, sucht er schon früh nach Alternativen, um aus diesem für ihn beklemmenden und einschränkenden Umfeld von Zeit zu Zeit auszubrechen. Zwar spielt er seine Rolle, kommt aber immer weniger umhin, sein wahres Ich zu verbergen. So beginnt er immer häufiger damit, jede sich ihm bietende Möglichkeit zu nutzen, um auf Reisen zu gehen. Nach seinem Universitätsabschluss kann er sein lange gehegtes Ziel endlich verwirklichen. Er bricht alle Kontakte, allen voran den zu seinen Eltern, ab, verschenkt und lässt zurück, was ihn bindet und beginnt seine Erfüllung zu leben. Auf seiner zweijährigen Reise durch den Westen der USA hinterlässt er deutliche Spuren, die Krakauer durch seine Fotos, Tagebucheinträge, die er vornehmlich in Büchern als Randnotizen verfasst und zahllosen, aber nie belanglosen Bekanntschaften, nachzeichnen kann. Der Autor schafft es wieder, wie schon in „Eisige Höhen“, eine Geschichte, deren grober Verlauf und vor allem deren Ende schon hinlängliche bekannt scheint, so zu erzählen, dass es den Leser mitreißt. Es scheint nicht wichtig zu wissen, wie es endet, wichtig ist nur, das Erzählte von Anfang an mitzuerleben. Dabei zu sein. Wie McCandless es schafft durch sein Wesen, seine Taten, seine Worte, Menschen zum Nachdenken zu bringen, ihr Leben in Frage zu stellen, Dinge zu ändern, die als selbstverständlich angesehen werden, einfach nur, weil sie schon immer so waren. Das ist das faszinierende an der partiellen Biografie in diesem Buch. Man muss ihn nicht romantisieren, diesen Menschen, der sich am Ende fast völlig unwissend der gnadenlosen Natur des „wilden Alaskas“ stellt, nur um den Tod zu finden. Denn die Frage stellt sich beim Lesen ständig: ist er einfach nur ein durchgeknallter Junge, der sich über- und den Rest der Welt unterschätzt, oder ein Suchender, der etwas findet, was er nicht suchte? Darum geht es aber nicht. Viel wichtiger als die Tatsache, dass McCandless wahrscheinlich in der Tat viel zu blauäugig in die Wildnis Alaskas zog ist doch, dass er seiner Bestimmung folgte. Er tat das, was er für richtig hielt, was ihn trieb, was für ihn das Leben bedeutete. Den Tod auf diese Weise zu finden, befinden viele als dumm und am Ende auch als gerechtfertigt – gar als logischen Schluss – dennoch glaube ich, dass hier nicht das Ende wichtig ist, sondern der Weg, den er beschritt. Bei der Kritik, die dabei immer wieder auftaucht, vergessen diejenigen, die ihn für sein Ende belächeln, dass sein Ziel nicht das Überleben in der Wildnis war. Sein Ziel war das Leben in seiner ursprünglichsten Freiheit, nur geschmälert durch Zwänge, die rein körperlicher Natur sind: Nahrung und Schlafen. Auf seiner Reise, die ihn durch fast alle Staaten der Westküste der USA bis nach Mexiko führen, finanziert durch Gelegenheitsjobs und Bettelei reduziert er sich auf sein Selbst. Er lebt das Leben eines Aussteigers bis aufs Äußerste, scheut keine Gefahren und schafft es dennoch, Menschen zu begeistern. Eigentlich könnte man meinen, dass ein Charakter mit dieser nicht zu verleugnenden misanthropen Haltung die Einsamkeit sucht, um den Menschen zu entfliehen. Vielmehr glaube ich allerdings, dass er zu sich selbst finden musste, um anderen Menschen zu begegnen. Durch Krakauers Recherchen wird deutlich, dass er das in seinen Anfängen auch schaffte.

Als McCandless sein Ziel – Alaska – im April 1992 erreicht, begibt er sich auf den „Stampede Trail“ im Denali-Natinoalpark. Nach einigen Tagen erreicht er einen verlassenen Autobus. Dieser diente in der Zeit der bald aufgegebenen Erschließung des Gebiets als Unterkunft für die Arbeiter. Auch er nutzt ihn als Basiscamp für seine, ab nun rund 110 Tage – der genaue Zeitpunkt seines Todes ist nicht mehr rekonstruierbar – dauernde Expedition bis zu seinem Ende. Er ernährt sich ab jetzt nur noch von dem, was die Natur ihm anbietet und nennt sich von nun an Alex Supertramp. Seine einzigen Begleiter sind die Moskitos und die Literatur von Thoreau, London, Tolstoi und Pasternak. Trotz mangelnder Erfahrung und Ausrüstung hält er sich wacker. Die genauen Umstände, die letzten Endes zu seinem Tode führen, sind bis heute nicht geklärt. Er wird krank und verhungert.

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